Götterdämmerung
dass sich mein kleiner Junge an seinen Dad als AIDS-kranken Ex-Junkie erinnert, dass er mich so sterben sieht.«
Der Alkohol brannte in seinem Mund, als Neil den Kopf schüttelte.
»Also haust du einfach ab, nimmst wieder Drogen und stirbst im Schnellverfahren.«
»Was weißt du schon«, antwortete Ted für seine Verhältnisse heftig, griff nach der Flasche und schenkte sich nach.
»Meine Mutter hatte Krebs«, sagte Neil. »War nicht schön, das mitzuerleben, aber wenn sie mich stattdessen verlassen hätte, um irgendwo allein zu sterben, das wäre noch viel schlimmer gewesen.«
Abrupt hob Ted den Kopf. In den Augen glomm etwas.
»Und was ist mit deinem Vater?«, gab er zurück. »Ich kann mich erinnern, dass du einmal gesagt hast, er hätte dir einen Gefallen getan, wenn er früher abgekratzt wäre, wenn du ihn nie kennen gelernt hättest. Es war nach dem Spiel gegen Jenborough.«
Ein ebenso unerwarteter wie meisterhafter Hieb. Die Gewissheit, der gutmütige Ted würde solche kindischen Ausrutscher auf sich beruhen lassen, zerrann in Sekundenschnelle. Ted war nicht mehr der optimistische Junge aus dem College, sondern einsam, verbittert und todkrank.
»Schon möglich«, sagte Neil gedehnt und versuchte, nicht darüber zu spekulieren, was Julie und Ben einmal über ihren Väter zu ihren Schulkameraden sagen würden.
Ted sackte wieder in sich zusammen.
»Mann, Neil, tut mir Leid.«
Eine Zeit lang tranken sie schweigend.
»Okay«, sagte Neil schließlich. »Du willst deine Frau und dein Kind nicht belasten. Aber auch auf die Gefahr hin, dummes Zeug zu reden, wird die Behandlung nicht heutzutage von tausendundeiner staatlichen Behörde subventioniert? Oder haben sie das schon wieder abgeschafft?«
»Du kapierst es nicht. Ich will nicht mehr behandelt werden. Hab ich alles schon hinter mir. Meine Haut sah aus wie ein Büffelhintern, und jeder hat mich gleich als das erkannt, was ich bin. Da dachte ich mir, das kriege ich auch anders und angenehmer. Wenn ich sowieso sterben muss.«
Mit der linken Hand wies er auf Neil.
»Würdest du auch machen, wetten?«
Würde ich nicht, dachte Neil. Ich würde kämpfen. Aber er hielt es für sinnlos, das laut auszusprechen.
»Weißt du, was das Schlimmste ist?«, fragte Ted abrupt. »Wenn du das Zeug nicht nimmst, meine ich. Und ich rede jetzt nicht von Miriam und meinem kleinen Jungen und dass ich sie nicht mehr wiedersehen werde. Das ist mehr als übel - das ist unerträglich. Nein, ich meine, was das Schwerste ist, wenn du dich so durch die Tage schleppst.«
Durch das Fenster erkannte Neil, dass es wieder begonnen hatte zu schneien. Der Winter zog sich in diesem Jahr lange hin. Er fragte sich, wann endlich der Frühling in Boston eintreffen würde und ob er Ted mit seiner Einladung auch nur im Geringsten geholfen hatte.
»Klär mich auf.«
»Zwei Sachen. Die eine ist, dass ich Angst habe. Unlogisch, ich weiß. Aber ich bring’s einfach nicht fertig, mir absichtlich den goldenen Schuss zu setzen, und dann versuch ich für ein paar Tage, es ganz und gar sein zu lassen. Und dann kommt die Geilheit. Es ist verrückt, als ich noch in der Mannschaft war und es Groupies gab, so viel man wollte, da hab ich nur an Miriam gedacht. Und da war ich noch gesund. Aber jetzt, wo ich ein Wrack bin, schaue ich jeder Zicke hinterher, die an mir vorbeigeht, und will es mit ihr treiben. Bis ich wieder genügend Geld für eine Spritze habe. Dann ist die Geilheit weg, eine Zeit lang jedenfalls.«
Wenn sie so weitermachten, würden sie in dieser Spirale aus Grübeleien und fruchtlosem Bedauern versinken. Neil musste endlich das Thema wechseln, die guten Erinnerungen hervorkramen. Er zerbrach sich den Kopf, aber bis auf Sport fielen ihm keine Gemeinsamkeiten ein, und über Baseball zu reden, konnte Ted auch nur an seine kaputte Karriere erinnern. Die politische Lage war auch kein besseres Thema; mit Diskussionen über den Sinn und Unsinn des letzten Irak-Kriegs war Ted nicht geholfen, und mutmaßlich waren ihm solche Fragen mittlerweile auch gleichgültig, wenn sie ihn denn je beschäftigt hatten. Neil versuchte sich daran zu erinnern, ob Ted am College je Interesse für Politik bekundet hatte, aber er kam sich vor wie jemand, der verzweifelt verblichene Graffiti auf einer alten Wand zu entziffern versucht. Dann packte ihn eine Idee, deren Einfachheit ihn um ein Haar den Kopf schütteln ließ. Natürlich. Das hatten alle gemeinsam.
»Apropos Zicken«, bemerkte er, »hast du gehört,
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