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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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mir klar wurde, warum du das alles getan hast, statt weiter zu warten. Nur um mir zu helfen. Nun hast du alles verloren, und siehst du, das ist meine Schuld.«
    Ihre Arme schlangen sich um seinen Hals, und es war ihm, als zöge sie ihn aus dem Mahlstrom aus Schuld, Selbsthass und Rachewünschen in einen geheimen sicheren Kreis. Es war ein Ende und ein Beginn.
     
    * * *
     
    Die Schriftzüge auf dem grobkörnigen Papier, das auf dem wackligen Moteltisch lag, kräuselten sich hastig zu einer Botschaft, in der die gleiche Mischung aus Gewissheit und Wärme lag, wie sie auch die vergangene Nacht geboten hatte, eine Nacht, in der sie nichts anderes getan hatte, als ihn in den Armen zu halten, seine Trauer, seinen Zorn in sich aufzunehmen und für ihn da zu sein. Auf eigenartige Weise war ihr Zusammensein intimer gewesen als in den weißen Nächten in Alaska, obwohl keiner von ihnen beiden zu Sex imstande gewesen war.
    Neil, schrieb sie, es gibt noch eine Entscheidung, die ich treffen muss, und ich muss sie alleine treffen. Wenn du mich immer noch wiedersehen willst, dann triff mich in einem Monat in der Straße mit den Flamingos in Miami, von der du mir erzählt hast. Bei dem Albino-Flamingo ohne jede Farbe. Um 12 Uhr mittags, denn ist das nicht die beste Zeit?
    Ich weiß nicht genau, wie ich enden soll. Lange Zeit wusste ich nicht, was ich für dich fühle, aber jetzt weiß ich es. Und deswegen ist es eigentlich doch auch wieder leicht.
    In Liebe,
    Beatrice
     
    Matt wirkte erleichtert, als er Neil sah; Neil wusste, dass Matt sich diesen Tag genau wie den letzten freigenommen und seit der Beerdigung auf ihn gewartet hatte. Auch Matt lagen tiefe Schatten um die Augen.
    »Tut mir Leid«, sagte Neil.
    »Vergiss es. Weißt du, ich habe genau die richtige Ablenkung für dich. Karten für die Washington Wizards gegen die L.A. Lakers.«
    »Matt, mir ist jetzt nicht nach Basketball.«
    »Doch«, sagte Matt drängend, und allmählich bemerkte Neil den Unterton. »So ein richtig schönes lautes Spiel, wo man vor lauter begeisterten Fans sein eigenes Wort nicht versteht und nur an den nächsten Korb und die blöden Schiris denkt. Das ist jetzt genau das Richtige für dich.«
    Wenn ihm die vergangene Nacht nicht zumindest die Sorge um Beatrice genommen und das Herz etwas erleichtert hätte, wäre Neil wohl noch immer begriffsstutzig gewesen. Doch langsam begann sein Verstand wieder zu arbeiten.
    »Wenn du meinst«, sagte er achselzuckend und nickte.

Bis das Spiel begann, sprach Matt über alles Mögliche, nur nicht über Ben oder die Umstände, die zu seinem Tod geführt hatten. Er erkundigte sich nach Lou und Owen, er erzählte von einem Interviewtermin mit Hillary Clinton, er redete von Shaquille O’Neal, Michael Jordan und Magic Johnson und schleppte Neil während all dieser betont harmlosen Gespräche zum Essen ausgerechnet in ein Fast Food Restaurant, wo ihn einige der Besucher erkannten und sich bedeutsame Blicke zuwarfen. Neil ließ sich in der Flut von Belanglosigkeiten treiben und klammerte sich an den Funken Hoffnung, der mit Beatrice in sein Leben zurückgekommen war, ohne das Bild des frischen Grabes darüber zu vergessen.
    Die Fans hatten bereits begonnen, die Schiedsrichter auszupfeifen, als Matt, der laufend Popcorn in sich hineinstopfte, endlich zur Sache kam.
    »Du musst verschwinden«, sagte er ohne Einleitung, und es fiel Neil nicht leicht, die Worte zu begreifen, die Matts unverwandt zur Spielfläche gerichtetem kauenden Mund entkamen.
    »Ich habe Armstrong deine Botschaft ausgerichtet, aber das war ein Fehler. Du hast mehr als Armstrong auf dem Hals, Neil, und er allein hat dich schon so gründlich ruiniert, dass es schlimmer nicht werden kann. Aber jetzt fragt nicht nur er sich, ob du nicht wirklich noch etwas mehr weißt, sondern auch gewisse… andere Kreise. Und anders als Armstrong haben sie nichts dabei zu verlieren, wenn sie dich zum Märtyrer machen. Sie haben versucht, mich zu kaufen, weißt du. Aber wenn man gerade am Grab seines Patenkinds gestanden hat, dann verliert auch ein Angebot, das man nicht ablehnen kann, an Macht. Aber das wissen sie nicht, noch nicht. Sie haben mir drei Tage Zeit gegeben, um herauszufinden, was du noch in der Hand hast. Dann schlagen sie zu. Mach dir um Julie keine Sorgen; sie ist in Sicherheit. Geh nachher mit der Masse aus der Halle und tauch sofort unter.«
    Neil spürte, wie ihm Matt etwas in die Hand presste, immer noch, ohne ihn anzuschauen.
    »Nimm die

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