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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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in Freiheit zu sehen. Aber sie legte eine Hand auf seine Wange und sagte leise:
    »Neil, wenn ich dein Leben für dich leben könnte, glaub mir, ich würde es tun.«
    Etwas in ihm löste sich, und er stellte fest, dass er in ihren Armen lag und weinte. Er küsste sie und schmeckte in dem Salz seiner Tränen ihre eigenen.
     
    Die Stoßzeit, die den Metrobenutzern in Washington das Gefühl verschaffte, in Sardinendosen zu stecken, hatte zumindest den Vorzug, dass sie Neils Meinung nach eine Observierung so gut wie unmöglich machte. Beatrice fuhr mit ihm zu dem Motel, in dem sie abgestiegen war, und erzählte ihm in dieser Zeit das meiste von dem, was sich seit ihrer letzten Begegnung ereignet hatte. Er konnte ihre Stimme in dem allgemeinen Gewirr kaum ausmachen.
    »Das Erdbeben«, sagte sie, »war für mich die erste und beste Gelegenheit, um aus dem Labor zu verschwinden.«
    Sie schilderte ihm ihre Flucht, und er fragte sich, - warum er bei all seinen Befürchtungen nie damit gerechnet hatte, dass Beatrice längst für Livion so unerreichbar geworden sein könnte wie für ihn.
    »Mike ließ mich einen Monat lang als Mädchen für alles mitarbeiten, und danach brachte er mich mit seinem Flugzeug nach Seattle«, schloss sie.
    »Woher wusstest du von Bens Tod und der Beerdigung?« fragte Neil.
    »Seit ich in den unteren achtundvierzig bin, gehe ich wieder ins Netz, über die Internet-Cafes«, erwiderte sie. »Ich habe alle Websites nach Nachrichten über dich abgesucht.«
    Der ebenso unlogische wie brennende Wunsch, ihr wehzutun, war plötzlich überwältigend.
    »Oh, und ich dachte, du hättest eine Auftragsbestätigung für den Autounfall im Schreibtisch deines Vaters gefunden«, sagte Neil sardonisch. Sie schwieg während des Rests der Fahrt. Als sie vor dem Motel angekommen waren, sagte sie: »Komm mit.«
    Die neutrale, pastellene Freundlichkeit ihres Hotelzimmers, die jedes störende Element aufzusaugen schien, stand im strikten Gegensatz zu dem heftigen Ausatmen, mit dem Beatrice die Tür hinter sich schloss.
    »Also schön. Sprechen wir über meinen Vater. Er ist kein Heiliger, gut, aber du weißt ganz genau, dass er nichts mit dem zu tun hat, was deinem Jungen passiert ist, und du weißt auch, wie unlogisch diese AIDS-Theorie ist. Aber das war dir egal, als du ins Netz damit gegangen bist, und glaub mir, es sind jetzt noch überall illegale Downloads erhältlich. Die Karriere meines Vaters ist zerstört. Keine Universität würde ihn jetzt noch einstellen, kein Pharmakonzern finanzieren. Er kann Livion nicht mehr verlassen, selbst wenn er wollte, und sie werden ihm dort nie wieder vertrauen. Ich werde ihn nie wiedersehen können. Wenn du sein Leben ruinieren wolltest, bitte, das ist dir gelungen, und der Witz ist, der einzige Mensch, der wirklich ein Recht dazu gehabt hätte, bin ich. Aber bestimmt nicht du.«
    Er klatschte in die Hände, einmal, zweimal, dreimal, und sie zuckte zusammen, als hätte er sie geohrfeigt.
    »Was für ein wunderbares Plädoyer, Elektra. Und was kommt als Nächstes, die Verteidigungsrede für Warren Mears?«
    Ihr Gesicht wurde steinern. »Du hast nicht die geringste Ahnung, was Warren getan hat«, sagte sie bitter. »Was meinst du, warum mein Vater auf einmal…« Sie rang nach Atem.
    »Du brauchst jemanden, dem du die Schuld geben kannst«, sagte sie dann, ruhiger. »Jemanden, den du kennst, nicht eine anonyme Größe wie Armstrong. Das ist es doch, oder?«
    Wieder verblüffte ihn die Einsicht, die sie gelegentlich in ihn hatte, ihre Fähigkeit, urplötzlich in seine Haut zu kriechen und die hässlichen vergifteten Venen bloßzulegen.
    Beatrice trat näher. »Dann gib mir die Schuld«, flüsterte sie. »Du hast mich gefragt, ob es das Richtige wäre, ein Risiko mit dieser Drohung gegen deine Kinder einzugehen, und ich habe irgendetwas Allgemeines geantwortet. Wer weiß, wenn ich gesagt hätte, nein, auf keinen Fall, dann wärst du vielleicht früher zurückgeflogen. Wenn ich dich nicht gebeten hätte, überhaupt dieses zweite Mal nach Alaska zu kommen und zu bleiben, dann wäre das alles auch nicht passiert. Gib mir die Schuld. Das willst du doch, nicht wahr?«
    Es lag kein Groll in ihren Worten, keine Verachtung, kein Trotz. Er verstand nicht, wie sie so klar sehen konnte und ihn nicht dafür verabscheute.
    »Es tut mir…«
    »Es muss dir nicht Leid tun. Morgen vielleicht, aber nicht jetzt.«
    Sie legte eine Hand an seine Wange. »Ich habe auch an dir gezweifelt, weißt du. Bis

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