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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Popcorntüte. Am Boden liegt ein Umschlag mit genug Geld, um dich für die nächste Zeit über Wasser zu halten.«
    »Ich könnte…«
    »Verschwinden. Nur das noch, Neil. Kein Mensch wird je wieder ein Zeile von dir drucken. Die Experten haben dich zu einer Witzfigur gemacht. Du bist finanziell am Boden, und deine Glaubwürdigkeit wird erst wiederhergestellt sein, wenn du tot bist. Willst du das?«
    Es war eine wütende rhetorische Frage, doch Neil nahm sie ernst. Wenn Matt sie ihm gestern gestellt hätte, dann wäre es verführerisch einfach gewesen, den Tod als Ausweg aus der Hölle von Schuldgefühlen zu akzeptieren. Er hatte Ben verloren, und wenn sein eigenes Sterben sowohl sicherstellte, dass Julie nichts geschehen würde, als auch Livion einen Schlag versetzte, dann war dies nicht das schlimmste aller möglichen Enden. Aber jetzt gab es wieder jemanden, der auf ihn wartete. Beatrice. Für Beatrice lohnte es sich weiterzuleben.
    »Danke«, sagte er einfach und spürte Matts Händedruck, ehe sie beide in das Getrampel der übrigen Zuschauer einfielen.
     
    »Das ist wirklich außerhalb jeder Regel, Mr. LaHaye«, sagte die Oberin, die St. Agatha leitete, misstrauisch. Sie wusste, dass Julie ein Scheidungskind war, und hatte bereits einmal eine Entführung durch ein Elternteil erlebt; dafür wollte sie nicht verantwortlich sein.
    »Ich habe nicht die Absicht, mit meiner Tochter zu verschwinden. Wenn es Sie beruhigt, dann werde ich sogar in diesem Zimmer mit ihr sprechen. Aber ich muss überraschend die Stadt verlassen, und ich will Julie vorher auf Wiedersehen sagen.«
    Etwas besänftigt ließ sie Julie LaHaye zu sich rufen und versuchte in der Zwischenzeit, ein Gespräch mit Julies Vater anzuknüpfen. Sie erkannte einen Exkatholiken, wenn sie einem begegnete, und erwartete ressentimentgeladene Seitenhiebe, doch Mr. LaHaye blieb höflich, wenn auch distanziert. Als Julie eintrat und ihn sah, fing sie an zu zittern, was das Misstrauen der Oberin im Nu zurückbrachte.
    »Dad? Was machst du…. ist Mom etwas passiert?«
    Rasch stand er neben ihr und umarmte sie. »Nein, Schatz. Mom geht es gut. Tut mir Leid, dass ich dich so erschreckt habe, das wollte ich nicht.« Er strich über ihr Haar, das sie mittlerweile als Pferdeschwanz trug. »Ich muss wieder weg, das ist alles.«
    »Aber du kommst wieder?«, fragte Julie.
    »Ganz bestimmt. Ich weiß nur noch nicht, wann, aber ich komme zurück.«
     
    Ein Mörder, den er vor seiner Hinrichtung interviewt hatte, hatte gesagt, wenn man untertauchen wolle, müsse man sich so auffällig wie möglich geben. Sich einen Irokesenschnitt zu verpassen, war ein guter Anfang. Der Frisör hatte gelacht, als er ihm von einer Wette erzählte. Der solide weiße Wohlstandsbürger Neil LaHaye musste verschwinden. In den heruntergekommenen Vorstädten, die für die Touristen nicht mehr interessant waren, gab es genügend Möglichkeiten, sich abgerissene Jeans, Halsketten und Stahlarmbänder zuzulegen.
    »Was soll’n das werden, Mann?«, fragte der Junge, der sie ihm verkaufte. »Mad Max?«
    »So was in der Richtung.«
    »Sie sehn damit aber echt bescheuert aus.«
    »Aber ich kriege einen Job als Extra. Die drehen zur Zeit Stirb langsam IV: Showdown in Washington.«
    Sich in den Randbezirken von Washington wie ein Relikt der Punker aus den Siebzigern zu geben, war nicht risikolos. Hier wohnten hauptsächlich verarmte Schwarze, und Neil wusste, dass es ihm passieren konnte, mit einem Rechtsradikalen verwechselt zu werden. Aber Beatrice hatte ihm etwas Hoffnung zurückgegeben, und während des Gesprächs mit Matt hatte er angefangen, einen Plan zu entwickeln. In Miami, hatte sie geschrieben. In einem Monat. Gut. Wenn es ihr bis jetzt gelungen war, unentdeckt zu bleiben, mit ihrer mangelnden Erfahrung, dann würde er ebenfalls untertauchen können.
    Außerdem gab ihm Armstrongs Reaktion zu denken. Wenn Livion und die Firma sich ihrer Sache sicher wären, dann hätte sich niemand die Mühe gemacht, Matt auch nur länger als eine Sekunde zuzuhören. Sie mussten glauben, dass er tatsächlich noch etwas in der Hand hatte, sonst hätte sein Bluff nichts bewirkt. Das bedeutete, dass es etwas gab. Beweise, mehr Material, etwas jenseits von all dem, was er bereits veröffentlicht hatte, ganz gleich: aber was?
    Ich habe etwas übersehen, dachte er. Ben, wenn ich es rechtzeitig gefunden hätte, dann wärst du vielleicht noch am Leben.
    Das Leder des Armbands mit seinen Stahlspitzen schnitt in sein

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