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Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)

Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)

Titel: Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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kein Mensch, sondern nur Schöpfer, erhaben in der Kraft seiner gestaltschaffenden Worte und dennoch ohnmächtig …
Das kleine Dorf ist nur ein Übergang
zwischen zwei Weiten, ahnungsvoll und bang,
ein Weg an Häusern hin statt eines Stegs.

Und die das Dorf verlassen, wandern lang,
und viele sterben vielleicht unterwegs,
     
    deklamierte die junge Frau und der Dichter begriff, dass es nun nicht mehr sein Lied war, sondern auch und noch viel mehr das ihre, denn sie würde es leben, dieses Lied, und den Weg gehen, der ihm zu weit und gefahrvoll gewesen war. Trotz des gedankenverlorenen Lächelns, das während des Vortrags um ihre Lippen gespielt hatte, ließen Haltung und Blick keinerlei Zweifel an ihrer Entschlossenheit zu …
    Der Dichter verstand zwar nichts von dem, was die Frau in einer fremden Sprache zu ihren Gefährten sagte, aber es war offenkundig, dass ihre Rückkehr zum »Schipp« – so nannte sie das Fluggerät jedenfalls, als sie darauf deutete – nur ein Aufschub vor ihrem endgültigen Aufbruch war. Dann war das Bild verschwommen, was stets das erste Anzeichen dafür war, dass ihn die Kräfte verließen. Das Graue Land schrumpfte und war Sekunden später verschwunden, während der Dichter das Gefühl hatte, zu fallen oder vielmehr zu sinken, denn seine Füße blieben weiterhin fest mit dem Erdreich verbunden. Als das Schwindelgefühl verging, hatte ihn der Weltenbaum bereits freigegeben, und er war wieder er selbst – zumindest in körperlicher Hinsicht.
    Dennoch hatte sich etwas verändert in ihm, wie dem Dichter alsbald klar wurde. Er stand nicht mehr über den Dingen, einzig der Kunst und sich selbst verpflichtet, wie er es mittlerweile gewohnt war. Immer wieder kehrten seine Gedanken zu der jungen Frau zurück, die ihn tiefer beeindruckt hatte, als er sich zunächst hatte eingestehen wollen. Als er am nächsten Tag an jenen Ort zurückgekehrt war, blieb sie – ebenso wie ihre Gefährten – verschwunden. Ihre Spur hatte sich in der grauen Wüste jenseits des letzten Hauses verloren. Sie waren ihn gegangen, den Weg zwischen den Weiten, das wusste er im Herzen, und seither stand ihr Schiff leer und verlassen wie die Häuser seines Dorfes …
      
    Obwohl inzwischen viel Zeit ins Land gegangen war, galt der erste Blick des Dichters auch heute wieder jenem verlorenen Ort am Rande der grauen Wüste, in der er wider alle Vernunft noch immer ein Lebenszeichen der jungen Frau und ihrer Begleiter zu finden hoffte. Hatte er anfangs noch systematisch gesucht, indem er den Weg jenseits des Dorfes anhand einer gedachten Linie weiterverfolgt hatte, vertraute er nunmehr dem Zufall und ließ seinen Blick scheinbar ziellos über das Graue Land schweifen.
    Dabei zuckte er jedes Mal innerlich zusammen, wenn er auf etwas Auffälliges stieß – das entpuppte sich jedoch stets als eine seiner eigenen Hinterlassenschaften: eine mediterrane Marktszene hier, ein Stück Garten mit einem Pavillon darin dort oder eine Brücke über einen Fluss, der in ihrem Schatten wieder versiegte. Es gab auch Menschen an diesen Orten, natürlich, aber keiner davon ähnelte der jungen Frau aus dem fliegenden Schiff, die – und auch das war dem Dichter mittlerweile klar geworden – aus einer Zeit lange nach der seiner früheren Existenz stammen musste.
    Zu seiner Zeit war man mit Doppeldeckern geflogen oder mit behäbigen Luftschiffen, die wie Segelboote dem Wind folgten. Die Sterne gehörten noch den Liebenden, den Dichtern und natürlich Ihm , der sie erschaffen hatte. Die kühnsten Fantasten träumten davon, eines Tages zum Mond zu fliegen, und wurden dafür verlacht. Die Welt, aus der die junge Frau stammte, war eine andere, in der die alten Träume Wirklichkeit geworden waren, aber auch – das war es, was er in ihren Augen gelesen hatte – die schlimmsten Schrecken …
    Vielleicht war es eine dunkle Vorahnung, möglicherweise auch der Drang, sich nicht mit diesem Nicht-Wissen abzufinden, die den Dichter heute tiefer als jemals zuvor in die graue Wüste eindringen ließen. Dabei ließ er alles, was er jemals erschaffen hatte, hinter sich und trieb seine Wahrnehmung weiter hinaus in Richtung Horizont, der nichts als eine verschwommene Linie war zwischen dem dunklen Grau des Landes und dem helleren des Himmels.
    Seltsamerweise war seine erste Wahrnehmung ein unangenehmer Geruch. Er war zu schwach, um ihn genauer einzuordnen, doch selbst dieser kaum wahrnehmbare Hauch hatte etwas von den Ausdünstungen schmutziger Elendsviertel.

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