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Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)

Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)

Titel: Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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überraschten den Kommandanten nicht. Er hatte keinen Augenblick lang daran gezweifelt, dass der Admiral sein Wort halten würde. Die versprochenen Waffen waren bereits in Masaos Obhut und würden innerhalb weniger Stunden einsatzbereit sein.
    Zurück auf der Brücke ignorierte Farr die neugierigen Blicke und tauschte nur eine kurze Umarmung mit Ortega, bevor er das Kommando wieder übernahm.
    »Zwischenaufenthalt beendet!«, verkündete er forsch. »Mr. Koenig, voller Schub voraus, Richtung Joyous Gard!«
        
     

Der Weltenbaum
     
Aus ihnen kommt mir Wissen, dass ich Raum
zu einem zweiten zeitlos breiten Leben habe.
Und manchmal bin ich wie ein Baum,
der, reif und rauschend, über einem Grabe
den Traum erfüllt, den der vergangne Knabe
(um den sich seine warmen Wurzeln drängen)
verlor in Traurigkeiten und Gesängen.
Rainer Maria Rilke
     
    Am Aussichtspunkt angekommen legte der Dichter wie gewohnt eine Verschnaufpause ein und ließ seinen Blick über die weißen Felsen der Steilküste zurück zum Castello de Duino schweifen.
    Der Anblick der ockerfarbenen Mauern mit dem weißen Turmgeviert in der Mitte war ihm seit Langem vertraut und barg gleichzeitig ein unauflösbares Rätsel. Der Dichter wusste, dass er – wie an jedem Morgen – von dort aufgebrochen war, erinnerte sich aber an keinerlei Einzelheiten. Hatte er gefrühstückt und wenn ja, allein oder in Gesellschaft? Er erinnerte sich nicht einmal an das Zimmer, in dem er die Nacht verbracht hatte. Wie viele Fenster besaß es, und konnte man von dort hinaus aufs Meer sehen oder auf der Landseite in Richtung Park? Hatte ihn die Morgensonne geweckt oder irgendein Geräusch, vielleicht das Klopfen des Personals?
    Der Dichter erwartete keine Antwort auf seine Fragen. Er hatte sie sich schon unzählige Male gestellt, zumeist hier an diesem Ausblick, den er jeden Morgen um die gleiche Zeit passierte. Ob es wirklich die gleiche Zeit war, wusste der Dichter nicht, denn er besaß keine Uhr. Er richtete sich nach dem Stand der Sonne und dem Schatten des Turmes, der stets das gleiche Areal verdunkelte. Im Grunde war auch das ein Mysterium, denn selbst in einer sonnenverwöhnten Gegend wie dieser mussten irgendwann ein paar Wolken auftauchen, wenn es schon nicht regnete. Außerdem änderten Schatten für gewöhnlich ihre Länge, je nachdem, ob die Sonne höher oder tiefer stand. Nichts dergleichen geschah hier. Sonne und Schatten verharrten seit Jahr und Tag an Ort und Stelle, wenn der Dichter nach ihnen Ausschau hielt, und der Himmel blieb makellos blau.
    So rätselhaft und befremdlich diese Phänomene auch erschienen, beschäftigten sie den Dichter doch nicht ernsthaft. Verglichen mit den Wundern, an denen er Tag für Tag teilhatte, waren die Begleitumstände ohne Belang …
    Nachdem sich seine Augen satt getrunken hatten an den Farben der Küste und des Meeres, nahm er seine einsame Wanderung wieder auf und tauchte wenig später in den Schatten des Waldes ein. Das allgegenwärtige Rauschen des Meeres erstarb, als hätte er eine Tür hinter sich zugezogen, und machte erwartungsvoller Stille Platz.
    »Komm!«, flüsterten ihm die Stimmen des Waldes zu, die in den Schatten der alten Bäume ihre Heimstatt hatten, deren dichtes Blätterdach sich in weit geschwungenen Bögen über ihm wölbte.
    Von stiller Vorfreude erfüllt schritt der Dichter kräftiger aus, den Verheißungen des magischen Ortes entgegen, dessen Nähe er jetzt spüren konnte wie den warmen Hauch vertrauten Atmens.
    Schließlich – endlich! – lichteten sich die Schatten. Bäume und Sträucher blieben respektvoll zurück wie Diener im Angesicht ihres Herrn, und der Dichter sah sich ihm gegenüber, dem Baum der Bäume, der wie ein knorriger Riese seine mächtigen Arme gen Himmel reckte.
    »Komm!« Der Ruf war in ihm, und vielleicht war er es sogar selbst, der ihn in Worte kleidete. Wie in Trance marschierte er auf den Baumriesen zu, ohne den Kopf in den Nacken zu legen, denn er wusste um das Schwindelgefühl, das ihn dann überwältigen würde. Die Unendlichkeit ließ sich nicht mit menschlichen Sinnen erfassen, und der Weltenbaum, der vor ihm in den Himmel wuchs, war ein Teil davon.
    »Komm!«
    Der Dichter war jetzt nur noch um Armeslänge von dem mächtigen Stamm entfernt, dessen Rinde sich – wie er wusste – trocken und warm anfühlen würde und auf eigentümliche Weise lebendig. Er sehnte sie herbei, diese Berührung, die der Metamorphose voranging, jener unbegreifbaren Erweiterung seiner

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