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Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)

Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)

Titel: Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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Er schmeckte eine Spur bitter wie kalter Rauch, aber darunter lag noch etwas anderes, äußerst Widerwärtiges, das der Dichter instinktiv mit Verwesung und Tod assoziierte.
    Die Schlachten und Leichenfelder des großen Krieges waren ihm erspart geblieben, aber er hatte Lazarette besucht mit Sälen voller Verwundeter und Sterbender, die einen ähnlichen Geruch verströmt hatten. Die Gegenwart des Todes war ihm durch seine zahlreichen Klinikaufenthalte ohnehin vertraut.
    Ein Teil von ihm wollte sich zurückziehen, weg von diesem fürchterlichen Geruch, der andere jedoch, der um jeden Preis wissen wollte, war stärker. Und dann sah er es auch schon, das Schlachtfeld – das jedenfalls war seine erste Vermutung angesichts des Bildes der Verwüstung, das sich ihm bot. Das Trümmerfeld erstreckte sich über eine schier unübersehbare Fläche, und aus den Ruinen stiegen noch immer vereinzelt dünne Rauchsäulen auf. Was diese Verheerung bewirkt hatte, blieb rätselhaft, denn es gab keinerlei Spuren einer kriegerischen Auseinandersetzung, weder Kanonen noch ausgebrannte Tanks oder Lastwagen. Die Toten, sofern sie nicht unter den Trümmern begraben waren, trugen weder Uniformen noch Waffen. Offenbar handelte es sich um die Bewohner der eingestürzten Häuser, die ein unvermutetes Verhängnis getroffen hatte. Etwas hatte die Stadt – und um eine solche handelte es sich zweifellos – getroffen wie die Faust eines Riesen und sie buchstäblich zerschmettert. Die meisten Opfer waren von den einstürzenden Wänden erschlagen oder zerquetscht worden und boten einen ebenso grausigen wie bizarren Anblick. Obwohl ihre Gesichter überwiegend menschlich erschienen, ähnelten die meisten von ihnen antiken Fabelwesen. Einige besaßen Flügel anstelle von Armen, andere die Gliedmaßen und Krallen sprungbereiter Raubtiere. Nicht wenige Körper waren fellbedeckt oder gepanzert wie Reptilien, während andere zwar ihre menschliche Natur behalten hatten bei allerdings völlig veränderten Proportionen. Nicht einmal die Fantasie eines Hieronymos Bosch oder Pieter Breughel hätte ein derartiges Pandämonium bizarrer und abartiger Kreaturen hervorbringen können, deren sterbliche Überreste sich zu Hunderten zwischen den Ruinen der toten Stadt türmten.
    Schaudernd wandte der Dichter seinen Blick ab und erlag beinahe der Versuchung, das Gesehene als Halluzination abzutun – eine Scharade seiner überreizten Sinne. Allein der bittere Geschmack des Rauches, der immer noch an seinem Gaumen klebte, verwehrte ihm diese tröstliche Ausflucht.
    Der Gedanke an ein göttliches Strafgericht verbot sich ebenso, denn nach der innersten Überzeugung des Dichters umfasste Seine Barmherzigkeit auch jene, die seiner spotteten.
    Was aber war dann der Stadt und ihren Kreaturen widerfahren? Wie war sie überhaupt an jenen abgelegenen Ort gelangt, an dem sie das Verhängnis getroffen hatte? Hatte sie gar jemand, der war wie er, durch die Kraft seines Wortes und die Intensität seiner Vorstellungen erschaffen? Oder stammte sie wie das fliegende Schiff aus einer späteren Welt der Menschen, vor der es dem Dichter mehr und mehr grauste?
    Hatte sie versucht, eine Grenze zu überschreiten, und war dafür bestraft worden? Die Idee schien zunächst absurd, aber irgendeinen Grund musste es doch geben, weshalb die junge Frau und ihre Begleiter ihren Weg zu Fuß fortgesetzt hatten. Waren sie vielleicht gewarnt worden vor dem, was sie erwartete?
    Der Dichter wusste nicht, woher sie gekommen waren und was sie vorhatten. Dennoch war er überzeugt, dass sie noch am Leben waren, auch wenn er sie im Moment nicht zu entdecken vermochte. Und er wusste, dass er nicht aufhören würde, nach der jungen Frau Ausschau zu halten, denn er trug ihr Bild in seinem Herzen wie das einer verlorenen Tochter.
        
     

Der Himmel der Maschinen
     
    Die Überfahrt nach Joyous Gard begann in gedrückter Stimmung. Obwohl allen klar gewesen war, dass die Sonne von Pendragon Base erloschen war und die stählerne Stadt nicht mehr existierte, war die Konfrontation mit der Realität deprimierend. Die Botschaft, die das nur noch mit Spezialteleskopen erkennbare Sternrelikt und das Nichts darum aussandten, war schlicht und endgültig: Es wird nie mehr sein.
    Daran änderte auch das Wissen um die erfolgreich abgewehrte Bedrohung nichts. Der Stützpunkt, an dem sich einst die stolze Armada formiert hatte, existierte nicht mehr, und nicht nur Raymond Farr erschien es, als wären damit auch die Jahre

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