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Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Titel: Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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Treffen?«
    Das war länger als zwei Jahre her, aber Miriam sah Farrs Gesicht so deutlich vor sich wie damals und das bittere Lächeln, das dabei um seine Lippen gespielt hatte. Niemand hatte länger gewartet als er …
    »Natürlich, Ray, verzeih mir.«
    »Ich hätte dich nicht allein fliegen lassen sollen.«
    »Es war meine Entscheidung. Und sie ist immer noch richtig!«
    Erleichtert registrierte er die Entschlossenheit in ihrer Miene.
    »Gut, dann halte dich am besten an Ortega – dienstlich, meine ich.«
    »Und du flirte nicht mit den Zirkusweibern.«
    »O, sie sind glutäugig und gertenschlank. Und sie tragen goldene Ringe, überall, nicht nur an den Ohren.« Er grinste anzüglich.
    »Sie haben Geschlechtskrankheiten«, konterte Miriam trocken.
    »Rassistin.«
    »Wüstling.«
    »Bis bald.«
    »Na, warte …«
    Sie trennten die Verbindung beinahe gleichzeitig, halb erleichtert und doch von einer tiefen Bangigkeit erfüllt, gegen die nur äußere Ablenkung half. Miriam ging zur Kommandantin auf die Brücke, und Farr stauchte ein paar Piloten zusammen, die sich geweigert hatten, Koroljov bei der Programmierung ihrer elektronischen Doubles zu unterstützen.
      
    Die Premiere war ein Ereignis.
    Die meisten Soldaten waren noch nie in einem richtigen Zirkus gewesen, teils, weil sie im Krieg rekrutiert worden waren, teils, weil sie von Welten stammten, die zu arm für derartigen Luxus waren.
    Und »Mario Morcelli« war ein richtiger Zirkus. Es gab Reiterfrauen in glitzernden Kleidchen, die mit traumwandlerischer Sicherheit auf dem Rücken wild galoppierender Pferde balancierten und dabei dem Publikum Kusshände zuwarfen. Es gab schwarze Panther, gedrungene Muskelpakete mit tödlichen Reißzähnen, die in ungesicherter Manege durch Feuerreifen sprangen, Elefanten, die auf den Hinterbeinen standen und ihre mächtigen Leiber fast spielerisch auf den Schultern graziler Tänzerinnen abstützten. Es gab Trapezkünstler, die Dutzende Meter frei durch die Luft wirbelten, um dann im letzten Augenblick eine Stange oder die Hand eines Partners zu ergreifen und so den unvermeidlich erscheinenden Sturz zu verhindern. Es gab Feuerschlucker, Jongleure, einen Entfesselungskünstler, der auf rätselhafte Weise aus einem Holzfass entkam, bevor es von Dutzenden Speeren durchlöchert wurde, und einen Zauberer, der sich nach einer Reihe atemberaubender Kunststücke vor den Augen des Publikums buchstäblich in Luft auflöste.
    Kurzum, die Morcelli-Truppe bot ihren Zuschauern all jene Sensationen, von denen die meisten zwar irgendwann schon einmal gehört hatten, ohne dass sie jemals auf die Idee gekommen wären, sie einmal mit eigenen Augen zu sehen. Und so war der Auftritt der Morcellis für die Männer von Pendragon Base nicht nur eine Zirkusvorstellung, sondern zugleich ein Stück nie erlebter Kindheit.
    Die Sensation aber waren die Clowns, ein Trio von Spaßmachern, das als »Die drei Harpyien« angekündigt wurde und sich entsprechend aufführte. Die drei maskierten Komiker flatterten in Vogelkostümen durch die Manege, kreischten mit Papageienstimmen Schimpfworte und Obszönitäten, spritzten mit Wasserpistolen und bewarfen sich gegenseitig und zuletzt auch das Publikum mit Gegenständen, die wie Exkremente aussahen, sich aber dann als süßes Konfekt erwiesen. Das Publikum wieherte vor Vergnügen, wenn eines der Vogelwesen ins Trudeln geriet und von dumpfem Trommelschlag begleitet in den Sand der Manege stürzte. Als die wilde Verfolgungsjagd schließlich endete und die drei Unglücksvögel sich gegenseitig den Staub aus dem Gefieder klopften, während die Kapelle »Yellow Submarine« schmetterte, schwollen Gelächter, Beifall und Jubelrufe des Publikums fast zu Orkanstärke an.
    Colonel Raymond Farr lachte nicht.
    Er hatte genauer hingeschaut und bemerkt, dass sich die drei Spaßvögel in einer Weise bewegten, wie es Menschen kaum möglich war. Es gab keine versteckten Drähte, die sie emporziehen konnten, und so mussten sie sich tatsächlich durch die Kraft ihres Flügelschlags in der Luft gehalten haben. Außerdem hatten sie etwas Seltsames, tatsächlich beinahe Vogelhaftes an sich, angefangen von den ruckartigen Bewegungen ihrer Köpfe über den starren Blick ihrer Augen bis zu den grotesk dünnen Waden, die wie Stecken aus den übergroßen Clownsschuhen ragten. Das papageienhafte Kreischen konnte beabsichtigt sein, dennoch hatten die Worte und Verwünschungen, die sie ausstießen, etwas Eingelerntes an sich, so wie Kinder die

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