Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)
Personalunion, nachdem Farr ihn über die Zentrale um eine Unterredung gebeten hatte. Der Mann hieß Emilio Morcelli, war Anfang fünfzig und machte einen durchaus sympathischen Eindruck.
»Wir haben seit ein paar Wochen Probleme mit dem Rotatron-Antrieb«, erklärte Morcelli mit kummervoller Miene. »Vielleicht können sich Ihre Techniker das Ganze einmal ansehen. Was die Bezahlung anbetrifft, muss ich allerdings zugeben, dass unsere Mittel begrenzt sind. Wir können für Ihre Leute aber die eine oder andere Gratisvorstellung organisieren, wenn das für Sie akzeptabel sein sollte, Sir.«
»Durchaus, Mr. Morcelli«, erwiderte Farr ebenso höflich. Normalerweise hielten Stadtobere technische Dienstleistungen für selbstverständlich. »Ich muss Sie allerdings bitten, sämtliche Vorstellungen oder sonstige Dienstleistungen Ihrer Leute im Vorfeld mit mir abzustimmen. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Wir haben in dieser Hinsicht nicht nur positive Erfahrungen gemacht.«
»Das tut mir leid, Sir!« Der dunkelhaarige Mann errötete tatsächlich, was Farr noch mehr für ihn einnahm. »Aber ich kann Ihnen im Namen aller versichern, dass Vorfälle dieser Art mit dem Zirkus Morcelli undenkbar sind. Unsere Familie betreibt dieses Geschäft seit über fünfhundert Jahren und hat einen Ruf zu verlieren.«
»Das freut mich, Mr. Morcelli«, erwiderte Farr zufrieden. »Meine Leute werden Ihnen umgehend einen adäquaten Landeplatz im zivilen Bereich zuweisen. Die Technik wird sich um Ihr Rotatron kümmern, sobald die Triebwerke abgekühlt sind.«
»Recht herzlichen Dank, Sir!« Emilio Morcelli verabschiedete sich mit einer Verbeugung, die eines Zirkusdirektors würdig war.
Colonel Farr schaltete den Monitor ab und ließ sich mit dem Offizier vom Dienst verbinden: »Martens, wir bekommen Besuch – einen Wanderzirkus … Nein, so schlimm wird’s nicht werden … Lassen Sie ihn bitte nach C4 einweisen und organisieren Sie den Wachdienst. Es sollte allerdings nicht zu martialisch aussehen … Danke!«
Direktor Morcelli machte zwar einen honorigen Eindruck, aber es war dennoch besser, er behielt die Neuankömmlinge unter Kontrolle.
Als er am Abend Miriam davon erzählte, reagierte sie nicht sofort. Die Leitung blieb still, obwohl er ihr Bild auf dem Monitor sehen konnte, sodass er schon fürchtete, die Audio-Verbindung sei zusammengebrochen.»Hast du sie gesehen, diese Zirkusleute?«, fragte sie dann. Ihre Stimme klang seltsam, fast spröde wie zerriebenes Glas.
»Bis jetzt nicht, aber ihr Rotatron ist tatsächlich beschädigt. Es war also kein Vorwand. Ich habe trotzdem eine Anfrage an das Zentralarchiv gestellt. Aber das kann dauern.«
»Schon gut, Ray.« Sie schien sich etwas gefasst zu haben. »Vermutlich sehe ich schon Gespenster.«
Er verstand, worauf sie hinauswollte.
»Die Gänse, nicht wahr? Aber sie haben keine dabei – ansonsten einen halben Zoo, aber ganz bestimmt keine Gänse.«
»Und wenn es eine Metapher ist?«, fragte sie zweifelnd.
»Es ist mit Sicherheit eine Metapher. Aber worauf sie sich bezieht, werden wir wohl erst erfahren, wenn es so weit ist.«
»Das klingt nicht unbedingt beruhigend, Ray. Du solltest dir diese Leute zumindest ansehen.«
»Das werde ich. Morcelli hat mir zwei Logenkarten für die Premiere morgen Abend geschickt. Ich wünschte, du könntest mitkommen.«
»Ich auch. Ich war noch nie in einem Zirkus. Und jetzt …« Sie brach ab.
»Wir werden es nachholen, wenn das alles hier vorbei ist«, versprach Farr. »Glaub mir, wir werden vieles nachholen. – Was macht übrigens das ›Rattenloch‹?«, erkundigte er sich mit gespielter Munterkeit.
»Es versteckt sich«, erwiderte Miriam, sichtlich dankbar für den Themenwechsel. »Aber wir bekommen vielleicht eine Chance, wenn Koroljov Wort hält und die KIs den Suchbereich noch einmal eingrenzen können. Wir könnten die Flechette-Batterien umprogrammieren und das Areal mit Miniprojektilen beschießen, die nach einer gewissen Zeit ein Antwortsignal abgeben – oder eben nicht. Man könnte natürlich auch einfache Signalmunition nehmen …«
»Prima Idee. Wie wär’s mit einer Leuchtschrift ›Hallo, wir kommen!‹?«, bemerkte Farr sarkastisch. »Wir sollten vor allem die Ruhe bewahren«, setzte er versöhnlich hinzu.
»Ich hätte nie geglaubt, dass Warten so schwer sein könnte.« Die Resignation, die in ihren Worten mitschwang, war unüberhörbar.
»Erinnerst du dich, was du mich damals gefragt hast, bei unserem ersten
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