Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)
hatte. »Und Agion Oros ist auch nicht die Erde.«
»Für uns schon«, widersprach der Priester. »Zumindest ist dieser Ort alles, was uns geblieben ist. Und jetzt ist er in großer Gefahr.«
»Sie glauben, es ist noch nicht vorbei?«
»Für heute vielleicht«, erwiderte der Pater nachdenklich. »Aber es ist ein Zeichen, eine Warnung möglicherweise. Wir müssen eine Entscheidung treffen – schon bald.«
»Sie glauben selbst nicht an eine göttliche Heimsuchung?«
»Natürlich nicht. Diese Geschöpfe«, er spie das Wort beinahe aus, »benutzen irgendwelche Versatzstücke der Heiligen Schriften wie hier die Offenbarung Johannes 8,7, um uns einzuschüchtern. Aber da sie selbst nicht glauben, verstehen sie nicht, womit sie da eigentlich umgehen. Das ist vielleicht eine Chance …«
»Inwiefern?«, wollte Farr wissen.
»Weil sie vermutlich nie auf die Idee kommen würden, dass wir ihr Spiel durchschauen.«
Der Begriff »Spiel« machte Farr hellhörig. Hatte nicht auch Balinas von einem Spiel gesprochen? Das konnte natürlich Zufall sein, aber er glaubte nicht daran. Offenbar wussten die Patres etwas, das sie ihm vorenthielten.
»Können Sie mir in die Hand versprechen, Pater, dass Sie mir nicht doch etwas verschwiegen haben?«
Der Ordensmann antwortete nicht sofort. Die Situation war ihm sichtlich unangenehm, und auch als er sich schließlich zu einer Entscheidung durchgerungen hatte, hielt er den Blick weiter verlegen zu Boden gesenkt.
»Sie haben recht, Commander, und ich kann Sie nur um Entschuldigung bitten. Dieses Ding«, er deutete auf den Krater, »hätte auch Sie töten können. Aber wie hätten wir denn ahnen sollen …« Er brach ab und biss sich auf die Lippen.
» Was konnten Sie nicht ahnen«, hakte Farr sofort nach.
»Das ist eine längere Geschichte«, erwiderte der Pater mit einem gequälten Lächeln. »Und sie ist auch nicht besonders …«, er suchte nach Worten, »… erfreulich. Vielleicht war es mir deshalb unangenehm, darüber zu sprechen.«
»Das spielt jetzt keine Rolle mehr«, winkte Farr ab. »Aber wir haben immer noch eine Abmachung.«
»Also gut«, seufzte der Ordensmann und schien noch ein Stück weiter in sich zusammenzusinken. »Einer unserer Brüder hat einen Fehler begangen. Und vielleicht müssen wir jetzt alle dafür bezahlen.«
»Was hat er getan?«
»Er ist nach Malmari Bay geflogen – ohne Wissen des Ordens …«
»Und was hat er dort gewollt?« Raymond Farr hatte eine Ahnung, und wieder wünschte er sich, sie würde ihn trügen.
»Vielleicht wollte er nur etwas herausfinden«, erwiderte der Pater zögernd. »Aber es gibt leider Grund zu der Annahme, dass er noch etwas anderes vorhatte, etwas, das unser Glaube und die Regeln unserer Gemeinschaft ausdrücklich verbieten. Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet …«
»Er wollte diesen Procturro töten, nicht wahr?«
»Wir wissen es nicht sicher, aber es spricht einiges dafür. Er besaß eine Waffe.«
Wieder fragte sich Farr, woher die Patres ihre Informationen bezogen. Der Attentäter hatte ihnen ja sogar seine Absicht verschwiegen, nach Malmari Bay zu fliegen. Und da Pater Markus in der Vergangenheitsform von ihm sprach, war er bestimmt nicht mehr am Leben …
»Die ihm aber nichts genutzt hat, oder?«
»Wir wissen nicht, was daraus geworden ist. Als er gefunden wurde, hatte er sie jedenfalls nicht bei sich.«
»Ihm ist also etwas zugestoßen?«
Der Ordensmann nickte stumm, wandte sich ab und begann den Wall hinabzusteigen. Farr folgte ihm. Er durfte jetzt nicht nachlassen, auch wenn er spürte, wie unangenehm Pater Markus das Thema war.
»Sie möchten nicht darüber sprechen?«
»Doch.« Farr sah, wie sich die Gestalt des Paters straffte. »Er ist von einem Felsen etwa fünfzig Meter in die Tiefe gestürzt – oder gesprungen. Angeblich war es ein Unglücksfall. Der Pfad von der Kapelle ins Tal ist an dieser Stelle ziemlich schmal und ungesichert.«
»Aber Sie glauben nicht an einen Unfall?«
»Nein«, versetzte der Pater entschieden. »Sebastian war weder ein Narr noch ein Trinker, und er kannte den Weg.«
»Sebastian? Kannten Sie ihn näher?«
Der Pater blieb plötzlich stehen und sah Farr in die Augen.
»Allerdings. Er war mein Bruder.«
»Entschuldigen Sie … es tut mir leid«, stammelte Farr verlegen.
»Es ist nicht ihre Schuld, Commander. Wir hätten Sie von Anfang an ins Vertrauen ziehen sollen.« Die Stimme des Paters klang sachlich, beinahe unterkühlt, als er fortfuhr: »Ich
Weitere Kostenlose Bücher