Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)
einer Sackgasse münden würde. Wenn es tatsächlich Pater Markus war, der die Mission im Auftrag des Ordens begleiten sollte, würden sich die Antworten früher oder später von selbst finden. Und vielleicht täuschte er sich ja auch …
Sie gingen schweigend, als hätten sie sich dem Gelübde des alten Paters angeschlossen, der inzwischen wohl längst in seiner Felsenhöhle verschwunden war. Die Nachmittagssonne brannte in ihrem Nacken, und sie sahen die Schatten vor sich länger werden, die einander ähnelten wie Zwillingsbrüder.
Priester und Soldat – immer noch Seite an Seite, dachte Farr mit einem melancholischen Lächeln. Wie vor tausend Jahren …
Seine Skepsis galt niemandem im Besonderen, schon gar nicht dem jungen Mann neben ihm, dessen Engagement ihm sogar Respekt abnötigte. Was Farr viel mehr verunsicherte, war das Gefühl, benutzt zu werden, nicht nur von den Patres, deren Motive ihm ja wenigstens noch einleuchteten:
Das Böse war in die Welt zurückgekehrt und musste bekämpft werden. Aber was war mit den Angels, die sich erst zurückgezogen hatten und dann doch wieder die Nähe der Menschen suchten? Was hatten sie gesehen, vielleicht in der Zukunft, das sie zum Handeln zwang? Und welche Rolle spielte er selbst in ihren Plänen? Was war das für ein »Spiel«, das Miriam und die Nemesis störten, und wer waren die Spieler? Die Unterredung mit Balinas hatte im Grunde mehr Fragen aufgeworfen, als sie geklärt hatte. Das einzig Greifbare war das Schriftstück mit den Koordinaten, und auch das hatte sehr viel Ähnlichkeit mit einem Köder …
Farr dachte noch darüber nach, als etwas geschah.
Ein Flugzeug durchbrach die Schallmauer – jedenfalls war das sein erster Gedanke, als plötzlich ein ohrenbetäubender Knall die Stille zerriss. Doch was folgte, war kein normales Triebwerksgeräusch, sondern ein bösartiges Zischen, das den Himmel wie ein Messer zerschnitt, bis ein zweiter, noch heftigerer Donnerschlag den Boden unter ihren Füßen ins Schwanken brachte. Farr hatte sich instinktiv fallen lassen, den Kopf in den Armen geborgen und wartete auf die Druckwelle. Als sie ausblieb, riskierte er einen Blick in Richtung seines Begleiters, der mit aschfahlem Gesicht auf dem Boden kniete und lautlos die Lippen bewegte.
Das Donnergrollen im Tal verklang und lenkte Farrs Aufmerksamkeit auf andere Geräusche, die er vorher nur unbewusst wahrgenommen hatte. Die eben noch beschaulich stille Landschaft ringsum, die Büsche und der angrenzende Wald waren plötzlich von Leben erfüllt. Überall raschelte es, Äste knackten, Vögel kreischten und das Geschrei der flüchtenden Ziegen wurde von hektischem Glockengebimmel begleitet. Die gesamte Tierwelt von Agion Oros schien in Aufruhr zu sein, und selbst einem erfahrenen Soldaten wie Farr fiel es in diesem Moment schwer, den eigenen Fluchtinstinkten zu widerstehen …
Er verharrte noch einige Sekunden am Boden, bis er überzeugt war, dass keine weiteren Explosionen mehr zu erwarten waren. Dann stand er auf und wandte sich Pater Markus zu, der immer noch am Wegrand kniete. Er schien unter Schock zu stehen und reagierte erst, als Farr ihn an der Schulter berührte, um ihm aufzuhelfen.
»Kommen Sie, Pater, wir müssen nachsehen, was da passiert ist.«
»Das Kloster …«, flüsterte der Ordensmann heiser. »Was ist, wenn…« Er brach ab und bekreuzigte sich.
»Vielleicht ist ein Shuttle abgestürzt«, versuchte Farr ihn zu beruhigen. Er selbst hatte allerdings Zweifel. Die Abfolge der Geräusche sprach eher für einen Meteoriteneinschlag, wenn nicht sogar für einen gezielten Angriff. Aber wer sollte ihn geführt haben – noch dazu unter den Augen des Militärs?
»Sind Sie okay?«, fragte er laut, und dieses Mal erhielt er Antwort.
»Ich denke schon.« Offenbar war Pater Markus wieder Herr seiner Sinne. Sein Körper straffte sich, und die Farbe kehrte in sein Gesicht zurück.
»Dann sollten wir uns nicht länger aufhalten!«
Die Ermahnung war überflüssig, denn der Ordensmann hatte es offenbar genauso eilig wie er selbst. Und er legte dabei ein Tempo vor, dass Farr bald alle Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten. Der Weg schlängelte sich noch immer in engen Serpentinen abwärts, war aber weniger abschüssig als zuvor. Dafür versperrte ihnen der Wald weiterhin den Blick ins Tal und hielt sie in seinem Schatten gefangen.
Dennoch fiel Farr etwas auf: Es gab offenbar keine Rauchfahne. Normalerweise setzten Geschosse dieser Größe und Geschwindigkeit
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