Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)
die Umgebung der Einschlagstelle in Brand, erst recht wenn es sich um eine so üppig bewachsene Landschaft handelte wie die rings um das Kloster. Doch hier deutete seltsamerweise nichts darauf hin. War der Flugkörper vielleicht doch in der Luft explodiert?
Ein heller Lichtschimmer etwa zweihundert Yards vor ihnen verhieß möglicherweise die Lösung des Rätsels und tatsächlich: Nach einer weiteren steilen Biegung des Weges endete das Waldstück und gab den Blick ins Tal frei.
Nachdem sie den letzten Teil der Strecke durchweg im Laufschritt zurückgelegt hatten, spürte Farr das Hämmern seines Pulses bis hinauf in die Schläfen. Aber es war nicht nur die Anstrengung, die ihm den Atem nahm und seinen Brustkorb schmerzhaft zusammenpresste. Noch ein paar Schritte, und sie würden wissen, ob das Herz von Agion Oros noch schlug …
Doch das Kloster schien – zumindest auf den ersten Blick – unversehrt. Hell schimmerten seine Mauern im Licht der tief stehenden Sonne, und der Glockenturm reckte sich trotzig in den veilchenfarbenen Himmel. Die Einschlagstelle entdeckte Farr erst Sekunden später, und wahrscheinlich hätte er sie gar nicht bemerkt, wenn da nicht eine Bewegung gewesen wäre – etwas, das aus der Ferne einer Ameisenstraße ähnelte, die das Klostergelände mit dem dunklen Rund des Einschlagkraters verband. Es würde sicher noch eine Weile dauern, bis auch der letzte der Patres den Unglücksort in Augenschein genommen hatte – sofern man geneigt war, an ein Unglück zu glauben. Farr schätzte den Abstand zwischen Krater und Kirche auf etwa zwei Meilen – eine Winzigkeit nach astronomischen Maßstäben, um die das kosmische Geschoss das Allerheiligste des Ordens verfehlt hatte.
Der Ordensmann war neben ihm auf die Knie gesunken. Raymond Farr konnte die Erleichterung des Paters nachempfinden, wenngleich er bezweifelte, dass die Heilige Maria tatsächlich ihre Hände im Spiel gehabt hatte. Dennoch empfand er einen Anflug von Neid angesichts des entrückten Gesichtsausdrucks des jungen Mannes. Zumindest besaß Pater Markus jemanden, dem er vertrauen konnte …
Wie knapp Agion Oros einer Katastrophe entgangen war, wurde ihnen jedoch erst klar, als sie sich nach einer knappen Stunde Fußmarsch der Einschlagstelle näherten. Der Krater maß etwa hundertzwanzig Yards im Durchmesser, und die Wucht des Einschlags hatte ringsum einen Erdwall von über dreißig Fuß Höhe aufgetürmt. Auf dem Weg waren sie einigen Patres begegnet, die seltsam abwesend und in sich gekehrt wirkten. Keiner von ihnen hatte über ein höfliches Kopfnicken hinaus von ihnen Notiz genommen oder gar Anstalten gemacht, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Irgendetwas musste sie zutiefst verstört haben.
Mit einem unguten Gefühl erklomm Farr an der Seite des Paters den zunächst sanft ansteigenden Wall, der aus einer Mischung von ausgeworfenem Gestein und weicher Muttererde bestand, bis sie nach einer letzten Anstrengung schließlich den Kraterrand erreichten.
Auf den ersten Blick sah die Flüssigkeit, die den unteren Teil des Kraters ausfüllte, wie Wasser aus, wenn da nicht dieser beunruhigende rötliche Schimmer gewesen wäre. Aber vielleicht spiegelte die Oberfläche ja tatsächlich nur das Rot des Sonnenuntergangs, der die Landschaft ringsum in kupferfarbenes Licht tauchte und alle anderen Farben auslöschte.
Dass dem war nicht so war, wurde jedoch schnell offenbar, denn aus der dunklen Flüssigkeit ragte etwas heraus, das deutlich heller war und wie Eis glänzte. Es war ein Eisblock, davon war Farr augenblicklich überzeugt. Die Wucht des Aufpralls hatte einige kleinere Stücke abgesprengt, aber der Hauptteil war trotz der Risse, die seine Oberfläche durchzogen, immer noch kompakt. Das erklärte auch, weshalb es keinen Brand gegeben hatte, als das Geschoss eingeschlagen war, keinen Feuerball und keine Druckwelle. Ein Eisblock konnte sich nicht aufheizen, und ein Teil seiner Masse war durch die Reibungshitze verdampft. Nur eines erklärte dieses Szenario nicht: Weshalb des Schmelzwasser, das den Eisblock umspülte, rot war wie Blut …
Aus den Augenwinkeln sah Farr, wie Pater Markus sich bekreuzigte, während er wie gebannt in die Tiefe starrte.
»Und der erste Engel blies seine Posaune«, zitierte der Ordensmann abwesend, »und es kam Hagel und Feuer, mit Blut vermengt, und fiel auf die Erde …«
»Ich sehe aber kein Feuer«, wandte Farr ein, obwohl er ahnte, dass der Pater im Augenblick kein Ohr für sachliche Einwände
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