Götterdämmerung in El Paso (German Edition)
ihm einen Gefallen tun möchte, dann tu ich das.«
Er ging auf Abstand und stach mit dem Zeigefinger in meine Richtung. »Kommen Sie mir in die Quere, sorge ich dafür, dass Sie Ihre Lizenz los sind, Morgan. Ich habe Freunde, die in Marmortoiletten scheißen. Sind Sie inzwischen derart weg vom Fenster, dass Sie das nicht wissen?«
»Ich brauche keine Lizenz, um Luther einen Gefallen zu tun.«
»Tun Sie sich selbst einen Gefallen, halten Sie sich raus. Was wollen Sie machen, wenn man Ihnen den Lappen entzieht? Bei Denny’s Geschirr abräumen?«
»Nett, dass Sie sich meinetwegen Sorgen machen, aber ich denke, ich komme zurecht.«
Wir ließen es dabei bewenden. Scales stieg in einen knallroten Porsche und fuhr davon. Ich hatte eine Reliquie meines Dads dahinter geparkt, einen angerosteten 1971er Chevy Monte Carlo. Ich ging noch mal hinein zu Luther.
»Er wird dich nach Strich und Faden ausnehmen«, sagte ich.
Luther hing noch immer in seinem Sessel, eine frische Dose Bier in der Hand. Der Fliegende Holländer auf dem Plattenteller ließ das Porzellan in der Vitrine erzittern, unter dem Sofa lugte der im Takt schlagende Schwanz der dicken Manx-Katze hervor — es war alles ganz schön dramatisch.
»Was kümmert’s dich?«, erwiderte Luther. »Ich habe Hilfe gebraucht und du … ach, du hast Bedenken vorgetragen. Einfach großartig, mit Freunden gesegnet zu sein, auf die man zählen kann.« Er sah mich verletzt an und wurde melancholisch. »Die letzten echten Freunde hatte ich in der Armee. So ist das im Gefecht. Das schweißt zusammen. Es heißt immer, im Gefecht gehe man seiner Menschlichkeit verlustig. Das ist Blödsinn. Es bringt die Menschlichkeit zum Vorschein.«
»Du bist nie in einem Gefecht gewesen. Luther. Du hast den Krieg in Riad verbracht, mit dem Tippen von Wirkungsanalysen.«
»Jeder, der dort war, stand im Gefecht«, sagte er. »Eine von diesen russischen Scuds ist zweihundert Meter von meinem Hotel entfernt eingeschlagen! Und vergiss bitte nicht, dass es in Riad von potentiellen Selbstmordattentätern nur so wimmelte.«
»Du hattest einen zeitlich befristeten Einsatz in einem Hotel?«
»Ich hatte einen zeitlich befristeten Einsatz von dem Moment an, als ich in die Armee eintrat. In Riad war ich nur fünf Wochen. Und weißt du was? Während der ganzen Zeit konnte ich nicht einmal scheißen! Ich habe nicht einen einzigen Haufen in die saudische Wüste gesetzt! Als ich ins Walter Reed eingeliefert wurde, litt ich unter Verstopfung, dazu das Golfkrieg-Syndrom und neurologische Störungen auf Grund eines chemischen Ungleichgewichts — den unfähigen Militärärzten, die mich mit allen möglichen Antitoxinen vollgepumpt haben, sei Dank! Sie mussten quasi eine Rohrreinigungsspirale einsetzen, um meinen Darm sauber zu kriegen. Das hat genauso wehgetan wie eine Schussverletzung, J.P. Aber hat man mir das Purple Heart verliehen, das ich verdient hätte? Nein! Man hat mich nach Hause geschickt mit einer Packung Abführmittel und einem Section 8.«
Luther, der, was Bindungen betraf, zu einer gewissen Flexibilität neigte, war vom Tage seiner Geburt an in einem zeitlich befristeten Einsatz. Ich musste unwillkürlich lachen, ein wenig zumindest.
Er starrte mich an, dann durch mich hindurch. »Du findest das komisch?«, fragte er. »Du lachst beim Anblick von Amputierten und Querschnittsgelähmten? Menschliches Leid entspricht deiner Vorstellung von überbordender Heiterkeit?«
Er hatte dieses bedrohliche Starren bis zur Perfektion eingeübt. Für Zivilisten war es erniedrigend. Kellner und Verkaufspersonal schüchterte es ein. Das Starren sagte: Ich habe mehr gesehen als du in deinen schlimmsten Albträumen. Praktischerweise hatte Luther völlig vergessen, dass ich als Angehöriger der 24. Infanteriedivision aus ziemlich geringer Distanz von Truppen der Hammurabi-Division Saddams angeschossen worden war. In seiner Welt war er der einzige Akteur von Bedeutung.
»Ich werde Carla finden«, sagte ich. »Und ich werde dir keinen Cent abnehmen.«
Er beachtete mich nicht. Auf seinem Schoß lag das Manuskript. Er nahm eine Seite und las sie, seine Bifokalbrille auf der Nasenspitze. Ich wollte gehen.
»Einen Moment, J.P., hör dir das an:
Richards Gesicht überzog ein kräftiges Hummerrot und er verschluckte beinahe seinen Kaviarlöffel. Meyerbeer, sein Gastgeber, verstand weder den Sinn noch die Bedeutsamkeit von Lohengrin! Richard wurde übel, er würgte. Er begab sich hinaus in das triste Elend des
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