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Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Titel: Götterdämmerung in El Paso (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis
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Cedepistas. Die Cedepistas nehmen für sich in Anspruch, Kommunisten zu sein, und heißen los gringos nicht willkommen. Es ist riskant, sich in diesem Viertel aufzuhalten, ob zu Fuß oder im Auto. Selbst die Polizei von Juárez verhält sich zurückhaltend, wenn sie, vorbei an den notdürftigen Behausungen, durch die elenden Straßen der Cedepistas patrouilliert.
    Als Erstes schraubte ich den Hörer von Carlas Telefon auseinander und entfernte Scales Wanze. Anschließend überprüfte ich unter anderem die Deckenbeleuchtung, den Rauchmelder und die Heizungsrohre auf Mini-Kameras. Sollte Scales eine installiert haben, war sie für mich jedenfalls unauffindbar. Ich ließ Carlas Rechner hochfahren und versuchte mich am Passwort. Bereits der dritte Versuch war erfolgreich: Rosepen. Ich rief rund ein Dutzend Dateien auf — Erläuterungen zu Seminaren, Ideen für neue Lehrveranstaltungen, Memos. Nichts von alldem hatte mit Hector Martinez zu tun.
    Danach nahm ich mir ihren Schreibtisch vor. Das reinste Chaos, sie würde nicht bemerken, dass ich ihn durchsucht hatte. In den obersten Schubladen Dinge, die Dozenten so horten: Radiergummis und Tipp-Ex-Fläschchen, ein Dutzend Bleistifte, ebenso viele Kugelschreiber, Pinnnadeln und Reißzwecken, Heftklammern, Haftnotizen, Schießgummis und Rollen mit Tesafilm, Rollen mit Briefmarken und Packen von Freiumschlägen, alle mit dem Absender des Instituts versehen, Aufkleber aller Art und Flaschen mit Aspirin und Tylenol und ein leeres Röhrchen Percocet.
    Die linke untere Schublade diente der Ablage. Sie war vollgestopft mit Papieren von Studenten. Ganz hinten dann das Material zum Thema Protest und Wandel: Texte mit Titeln wie »Öffnet la Frontera jetzt!« und »Schluss mit der Verfolgung mexikanischer Arbeitskräfte, »Dieses Land war ihr Land«. Ein Text mit der Überschrift: »Ziele und Methoden der HBB« beschäftigte sich offenbar mit Problemen, verursacht von einer Bürgerwehr, die auf Teufel komm raus die illegale Einwanderung mit Gewalt verhindern wollte.
    Daneben gab es Vergrößerungen von Fotos: Carla und einige mexikanische Frauen beim Durchwaten des Rio Grande; ein anderes zeigte die Frauen, wie sie mit Bolzenschneidern ein großes Loch in den Maschendrahtzaun schnitten, der die Länder trennte. Dann ein Foto, auf dem zu sehen war, wie die Frauen durch das Loch krochen. Auf dem nächsten Foto der Serie INS-Beamte, die den Frauen Handschellen anlegten. Carla hob ihre gefesselten Hände für ihren Komplizen hoch, den Fotografen. Sie strahlte, zeigte keine Furcht. Das Foto mit der Bildunterschrift »Gewissen und Ungehorsam — die Grenze heute« hatte es sogar in die Newsweek geschafft.
    Ich erinnerte mich an den Vorfall. Er hatte sich im letzten Winter ereignet: Eine Guerilla-Theater-Aktion, ganz in der Tradition der Vietnam-Proteste vor über dreißig Jahren. Carla verbrachte eine Nacht in INS-Gewahrsam und wurde für ihre Teilnahme an der Demonstration zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Mir fiel wieder ein, wie sich Luther mit den Behörden in die Wolle bekam, sich wichtig machte, sich großspurig als Sohn von Big Bill Penrose inszenierte. Niemand nahm ihn ernst. Den meisten Menschen in der Stadt ist Big Bill in unangenehmer Erinnerung. Sollte der Name Penrose jemals Gewicht gehabt haben, dann hat Big Bill es mit ins Grab genommen.
    Doch nichts hier erklärte Carlas Verschwinden.
    Also ging ich und sorgte noch dafür, dass die Tür wieder abgeschlossen war. Am Ende des Gangs kam ein Mann aus einem Büro. Er war kahl geschoren, in ein safrangelbes Gewand gehüllt und trug Sandalen. Auf seiner Nase saß eine Brille mit dunklem Gestell und runden Gläsern. Ein buddhistischer Mönch.
    Er war durch und durch echt. Als die Mönche von Bhutan vor Jahrzehnten von diesem Campus erfahren hatten, waren sie nicht nur fasziniert, sie waren auch davon überzeugt gewesen, dass er eine Art metaphysischer Bedeutung haben müsse. Sie besuchten den Campus und der damalige Präsident bot ihnen kostenlose Büroräume an. Kurz darauf rief die Universität ein Himalaya-Kulturzentrum ins Leben.
    Die Mönche erschienen wie Botschafter von einem anderen Stern, aber bald schon erfüllten sie mehr als die Funktion einer exotisch anmutenden Dekoration. Sie waren nach West-Texas gekommen, als wollten sie ein verlorenes Gebiet ihres eigenen Landes entdecken. Inzwischen bieten sie Seminare an über den Achtfachen Pfad und Meditationskurse für die, die nach einer neuen Orientierung für ihr Leben

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