Götterdämmerung in El Paso (German Edition)
aufhielten, und legte auf.
Carla und Angst? Sie besaß mehr Courage als Johanna von Orléans. Mir ist bisher niemand begegnet, der weniger von Furcht beherrscht gewesen wäre. Carla hätte eine ganze Kolonne SA-Männer einschüchtern können. Selbst wenn man sie auf dem Scheiterhaufen verbrennen wollte, fügen würde sie sich nie. Ihre Überzeugungen waren ihr Schwert und Schild.
Ich duschte, zog mich an und legte mein Schulterholster an. Nachdem ich den .357er geladen hatte, steckte ich ihn unter meine Achsel. Der .25er Browning wegen entschied ich mich für einen Pistolengurt — ich hatte eine Genehmigung für die Baby Browning, für Texas, jedoch nicht für Mexiko. Ich beschloss, mein Arsenal unter einem lindgrünen Seidenjackett zu verbergen, das ich vor zehn Jahren in Juárez gekauft hatte. Ein Zugeständnis an die Mode jener Tage. Ich machte mir einen Becher starken Kaffee, verquirlte drei Eier mit Tabasco, Chipotle-Chilis und Frühlingszwiebeln, schnitt einen Bagel auf, steckte die Hälften in den Toaster und kümmerte mich um das Rührei.
Ich bin kein Waffennarr, doch allein bei dem Gedanken, dass Carla Penrose sich fürchtete, stellten sich mir die Nackenhaare auf. Die Hans-Brinker-Irren, hatte sie gesagt. Ich dachte an das Papier in ihrem Schreibtisch mit dem Titel »Ziele und Methoden der HBB« und an Huddy Darkos Tätowierung. Hans Brinker was? Bombenbastler? Sprengstoffattentäter? Braunhemden?
Und wieso Hans Brinker? Man musste schon achthundert Kilometer Richtung Norden fahren, um auf Leute zu stoßen, die Schlittschuhe besaßen.
Vier Stunden später war ich in Albuquerque. Ich verließ die Interstate 25 an der Central Avenue und fuhr zu dem Hotel. Ich kannte es. In dem Jahr, als wir geheiratet hatten, waren Kat und ich für eine Nacht in diesem guten alten La Posada abgestiegen, einem der ersten Spitzenhotels von Conrad Hilton.
Noch bevor ich angeklopft hatte, öffnete mir eine abgespannte Carla die Zimmertür im dritten Stock des Hotels. »Weshalb hat das so lange gedauert?«, fragte sie.
»Mein Wagen muckt. Er fängt an zu stottern, wenn ich Gas gebe.«
»Du hast Luther nicht gesagt, dass du herkommst, oder?«
»Ich würde Luther nicht mal sagen, wenn seine Shorts in Flammen stehen würden.«
Sie sah mich erstaunt an.
»Ich dachte, er wäre dein Freund.«
»Ist er auch. Aber das heißt nicht, dass er kein Arschloch ist, das verdient, was es bekommt.«
Hector Martinez saß auf dem Bett und verfolgte ein Fußballspiel im Fernsehen. Er sah aus, als hätte er es mit mehr als einem Baseballschläger zu tun gehabt. Sein Gesicht war ein einziger Bluterguss, dazu geschwollen und mit hochroten Narben frischer Schnitte versehen.
»Das Werk von Elvis?«
»Dr. Caravaggio«, korrigierte mich Carla.
»Haben Sie die Pillen dabei?«, fragte Hector.
Ich gab ihm ein Röhrchen Darvocet. Er nahm den Deckel ab und schluckte zwei Tabletten ohne Wasser. Offensichtlich war Doc Caravaggio bei der Nasenkorrektur etwas übers Ziel hinausgeschossen. Hectors Maya-Nase war bis hinunter zu den breiten Nasenflügeln auf Knopfgröße gestutzt worden. Nicht ganz so radikal wie bei Michael Jackson, aber radikal genug — die Nase hätte auch die einer Neunjährigen sein können. Und man hatte ihm Wangenimplantate verpasst, die seinem Gesicht eine völlig andere Form verliehen und die verkleinerte Nase zusätzlich betonten. Das nunmehr runde Gesicht und die Stupsnase lenkten die Aufmerksamkeit auf die veränderten Augen. Caravaggio hatte den Epikanthus an beiden Oberlidern entfernt und Hector zu weit geöffneten Augen verholfen. Er hatte jetzt für immer und ewig den starren Blick eines Wildes, das in aufgeblendete Scheinwerfer sieht. Damit nicht genug, hatte der Chirurg Hectors schmale Lippen mit Collagen aufgepumpt.
»Würdest du mir verraten, was mit euch beiden los ist?«, fragte ich Carla.
»Du meinst, ob wir ein Verhältnis haben?« Trotz brachte Leben in ihr Gesicht.
»Das habe ich nicht gemeint, aber jetzt, da du es ansprichst … ja … habt ihr eins?«
Sie saß neben Hector auf dem Bett und nahm seine Hand. »Es ist die Not, die uns eng verbindet«, sagte sie. »Belass es dabei, okay? Was zählt, ist die Aufgabe, die wir zu erfüllen haben. Sie könnte uns das Leben kosten.«
»Welche Aufgabe?«
»Ich denke, du solltest einiges darüber erfahren«, sagte sie und sah Hector von der Seite an. Der löste seinen Blick nicht von dem Fußballspiel und zuckte lediglich mit den Schultern.
Sie lieferte mir
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