Götterdämmerung in El Paso (German Edition)
eine kurze Zusammenfassung. Hector, ein Doktorand aus Carlas Umfeld, war an der Grenze westlich von El Paso in einen Vorfall verwickelt worden. Es war nicht klar, ob sich das Ganze in Texas oder New Mexico ereignet hatte. Als es passierte, war Hector mit einer Familie unterwegs, um sie in die Vereinigten Staaten zu lotsen.
»Moment mal«, warf ich ein, »Hector ist ein Schleuser?«
»Nicht im herkömmlichen Sinne«, sagte Carla. Wieder sah sie Hector an und mir wurde klar, wie eng die Not sie miteinander verband. Vielleicht war es platonisch, aber platonische Liebe findet mitunter ihren Weg, die Sinne zu infizieren. Falls sie noch nicht miteinander schliefen, würden sie es bald tun.
»Hector hat es nicht des Geldes wegen getan«, fuhr Carla fort. »Ihm ging es um das Wohlergehen der Leute, die er über die Grenze brachte. Es waren anständige Menschen, kurz davor, wegen Hitze und Dehydrierung zusammenzubrechen. Zuvor hatte er ihnen Jobs und Unterkunft besorgt. Und dann mischte plötzlich die Hans-Brinker-Brigade mit. Die HBB ist eine Bürgerwehr, die sich von den üblichen zivilen Grenzpatrouillen unterscheidet. Für die meisten, wie die Minutemen zum Beispiel, ist Gewalt kein Thema. Sie verstehen sich als Hilfstruppe der INS. Aber die Hans-Brinker-Brigade ist eine Guerilla. Sie wollen Menschen töten. Sie arbeiten darauf hin, eine Situation zu schaffen, die einen Krieg zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten provoziert. Sie agieren grausam und brutal, benutzen Präzisions- und Maschinengewehre und zwingen LKWs voller illegaler Einwanderer zum Anhalten. Eines ihrer Mitglieder stellte sich Hectors Gruppe in den Weg und befahl ihnen mit vorgehaltener Waffe, umzukehren, zurück nach Mexiko zu gehen. Hector weigerte sich. Der Mann — ach was, ein Jugendlicher, viel zu jung, um dort allein Streife zu laufen, brachte seine Waffe in Anschlag. Eine Maschinenpistole. Hector wollte sie ihm entreißen, doch in dem Handgemenge löste sich ein Schuss und traf den Jungen ins Bein. Er ist an Ort und Stelle verblutet. Hector versuchte es noch mit einer Aderpresse, aber die Verletzung der Oberschenkelarterie war zu gravierend.«
»Und was hat es mit dem Namen Hans-Brinker-Brigade auf sich?«
»Du erinnerst dich an das alte Kinderbuch? Wo Hans Brinker, dieser holländische Junge, ein Leck im Deich bemerkt und seinen Daumen hineinsteckt, damit es nicht größer wird? Hans wird zum Retter der Stadt, weil er das Loch so lange stopft, bis die Deichwächter kommen und das Problem beheben. Die Brigade hat diese Rolle für sich adaptiert. Für sie ist die Grenze ein Deich und sie sind die Deichwächter. Sie wollen die Lecks schließen und das Land vor einer Flut illegaler Einwanderer bewahren.«
»Indem sie sie umbringen«, sagte ich.
»Sie denken, dass die Leute nicht über die Grenze gehen, wenn sie befürchten müssen, von Heckenschützen erschossen zu werden. So jedenfalls ihre Vorstellung. Sie malen sich aus, wie sie die mexikanische Armee mit hineinziehen, wenn sie Illegale abknallen, die noch auf mexikanischer Seite sind. Sollte es dazu kommen, hoffen sie, dass sich das amerikanische Militär ein Gefecht mit den Mexikanern liefert, das Vorspiel zu einem Krieg, den diese Gruppe unbedingt will.«
»Und sie verfolgen Hector, weil sie sich an ihm rächen wollen?«
»Der getötete Junge war der Sohn des Gründers der Brigade, ein millionenschwerer Dermatologe aus Phoenix namens Stefan Selbiades, insofern handelt es sich um etwas äußerst Persönliches. Selbiades hat ein Kopfgeld auf Hector ausgesetzt. Fünfzigtausend Dollar.«
»Die Texas Rangers sind der Ansicht, dass sie zuständig sind. Sie suchen Hector wegen Mordes«, sagte ich. »Allerdings ist Hector ihnen nur fünfundzwanzigtausend wert.« Ich sah keinen Grund, Carla etwas von meinem Zusammenstoß mit den Hans-Brinker-Zwillingen, Huddy und Spode, zu erzählen.
Sie berührte Hectors Hand und streichelte sie. »Der Kerl, der mit seinem Wagen vor Caravaggios Trailer stand, als du da warst, ist uns von Las Vegas hierher gefolgt«, sagte sie. »Er hat uns die ganze Zeit belauert.«
»Du meinst Bluto, den Handlanger von Hamilton Scales, dem Privatschnüffler, der von Luther angeheuert wurde. Ich habe dir davon erzählt.«
»Ja, kann sein«, erwiderte Carla. »Wie auch immer, er ist groß und nicht sonderlich attraktiv, vorsichtig ausgedrückt.«
»Bluto. Und er ist jetzt in Albuquerque?«
»Ich habe ihn im Flieger gesehen. Er war mächtig bemüht, sich so
Weitere Kostenlose Bücher