Götterdämmerung in El Paso (German Edition)
rücksichtslos in den Orkus gespült wurde. Ich ging zur Eingangstür des Hauses und klingelte. Niemand reagierte. Die Leute waren nicht da, aber ihre Sprinkleranlage tränkte brav den bereits überfluteten Rasen mit kostbarem Wasser.
Die Sache ist die: Der Grundwasserleiter trocknet aus und am Ende bleibt uns zum Trinken nur Tee der Marke »Riskant« aus dem dauerhaft verunreinigten Rio Grande.
Der gedankenlose Verbrauch von jungfräulichem Wasser ist moralisch verwerflich — genauso gut könnte jemand das Blut seiner Kinder verhökern, um seine Crackabhängigkeit zu finanzieren.
Bei diesem Thema kenne ich keine Zurückhaltung. Dieser alte Bolson enthält agua bendita — heiliges Wasser. Man sollte es achten und verehren. Rasenflächen, Golfplätze und künstliche Seen müssten nicht nur hier, sondern überall im Südwesten verboten werden.
Der Schaltkasten befand sich neben der Veranda. Ich klappte ihn auf. Die Anlage war so eingestellt, dass sie alle zwölf Stunden sechzig Minuten lang in Betrieb war. Die Eigentümer dieses Haus wollten einen Rasen, der aussah wie ein Golfplatz in Wisconsin.
Leute, die es auf der Flucht vor dem Winter des Nordens in den Südwesten verschlägt, mögen die Kargheit der Wüste nicht. Sie ziehen hierher, ihre im Norden geprägten Vorstellungen von einer Landschaft im Umzugskarton. Sie begreifen es nicht: Im Südwesten ist Wasser der kostbarste Schatz.
Ich stellte die Anlage so ein, dass sie einmal im Monat für zwei Stunden ihre Arbeit versah. Vielleicht würden die Besitzer es gar nicht bemerken.
»Haben wir heute unseren selbstgerechten Tag?«, rief mir ein Mann von der Tür des Nachbarhauses aus zu. Er hielt ein Mobiltelefon in der Hand. »Ich habe die Polizei gerufen, señor«, sagte er patzig, sich seiner Unantastbarkeit als Angehöriger der Mittelklasse äußert bewusst. Er hielt mich für einen Mexikaner, womöglich für einen Wetback auf Durchreise.
» Quién es el pendejo aquí? «, rief ich zurück — wer ist hier das Arschloch? » El hacendado o yo? « — der Großgrundbesitzer, dem das alles hier gehört, oder ich?
Thor oder Wotan schleuderte einen Blitz in die Franklin Mountains. Der Lichtschein und der darauffolgende Donnerschlag verschafften mir einen Vorteil: Die alten Götter höchstpersönlich standen mir zur Seite. Auch ein hiesiger Gott hätte Urheber dieses Blitzes gewesen sein können, Tlaloc zum Beispiel, der Wettergott der Azteken, und nicht zwingend ein germanischer Fremdling wie Thor oder Wotan.
Vielleicht reagiere ich zu hitzig, wenn es um unser bedrohtes Trinkwasser geht. Vielleicht sogar zu einseitig. Der Mann an der Tür muss mich für einen Wahnsinnigen gehalten haben — durchgeknallter Mexikaner manipuliert in unserem Viertel die geliebten Sprinkleranlagen, die unsere Welt aufs Angenehmste grün erhalten.
Ein zweiter Schlag aus grellem Licht und krachendem Donner unterstrich meine Allianz mit dem Irrationalen. Aus Furcht vor mir und den Göttern zog sich der Mann umgehend in die Geborgenheit seines Hauses zurück.
Untermalt vom Trommeln des Regens, fiel die Tür ins Schloss.
Ich schlenderte zu meinem Wagen, genoss den Sturm und hüpfte in eine Pfütze, wie einst der im Regen tanzende Gene Kelly.
23
Morgens um sieben scheuchte mich das Telefon aus dem Bett. Es war Carla Penrose. Meine Überraschung hielt sich in Grenzen.
»Vielleicht irre ich mich, aber ich denke, du bist der Einzige, dem ich jetzt noch vertrauen kann«, sagte sie. »Luther kann man vergessen.«
»War das jemals anders?«, fragte ich etwas abwesend. Die Fetzen eines Traums von einem vergeudeten Leben spukten mir noch im Kopf herum.
»Ich glaube nicht, dass ich es allein schaffe, J.P.«
»Was allein schaffst? Was machst du eigentlich in Tucson?«
»Ich bin nicht in Tucson. Ich habe Luther das nur aufgetischt für den Fall, dass die Polizei oder die Hans-Brinker-Irren ihn dazu bringen, uns zu verraten. Ich bin in Albuquerque. Kannst du herkommen, gleich heute Vormittag?«
»Hans Brinker? Der aus dem Kinderbuch, der mit den silbernen Schlittschuhen?«
»Ich will jetzt nicht so lange telefonieren. Ich erkläre dir alles, wenn du hier bist. Ich habe Angst. Hector … leidet … unter starken Schmerzen. Hast du irgendwelche Schmerzmittel?«
»Ja, Darvocet, gut ein Dutzend. Und etwas Tylenol 3.«
»Bring alles mit und pass auf, dass dir niemand folgt.«
Sie nannte mir den Namen des Hotels — das alte Hilton La Posada — und die Nummer des Zimmers, in dem sie sich
Weitere Kostenlose Bücher