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Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Titel: Götterdämmerung in El Paso (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis
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verlassen hat, will ich sie nicht dafür bestrafen. Ich will sie beschützen, immer noch.«
    »Das ist wirklich hochanständig von dir, Luther. Aber warum nehme ich dir das nicht ab? Woher nur dieser überraschende Sinneswandel?«
    »Mir ist egal, was du denkst. Du hast meine großherzige Seite nie wahrgenommen. Du kennst mich nicht wirklich. Ich habe mehr menschliche Größe, als du glaubst.« Er drückte den Joint aus und steckte ihn in die Tasche seines Bademantels.
    »Hat sie gesagt, was sie in Tucson macht? Hat sie dir eine Adresse gegeben?«, fragte ich.
    »Nein. Sie wollte mich lediglich beruhigen, ich solle mir keine Gedanken machen. Es werde alles seinen Gang gehen. Nur habe ich keinen blassen Dunst, was damit gemeint ist. Ich bin sicher, dass sie in Gefahr ist, aber was kann ich dagegen tun?«
    »Weiter kiffen?«
    »Ich würde es vorziehen, wenn du jetzt gehst, J.P. Deine Beleidigungen sind anstrengend. Ich betrachte dich auch weiterhin als meinen Freund, aber ich fürchte, du hast eine zweidimensionale Seele, flach und fad. Dir fehlt die Tugend der Empathie.«
    Eine kleine, dralle Frau betrat in diesem Augenblick das Zimmer. Sie war nur mit einem von Luthers Pyjamaoberteilen bekleidet, das ihr bis zu den Knien reichte. »Komm wieder ins Bett, Luther-Schatz«, sagte sie. »Ich flippe aus. Ich bekomme Zustände in deinem großen, unheimlichen Haus. Ich glaube, im Badezimmer ist eine Fledermaus oder eine riesige Motte. Als ich auf dem Klo gesessen habe, ist mir das Ding in die Haare geflogen. Hast du mich nicht schreien hören? Ich habe gegen meinen Kopf gehämmert und mich dabei fast ins Koma geschlagen. Warum lässt du überhaupt die Fenster auf? Hörst du nicht, wie’s donnert? Es fängt gleich an zu regnen.«
    Sie trug wahre Schichten von Make-up und war nicht so jung, wie ich anfangs gedacht hatte. Ihr rotes Haar schien das Zimmer zu erleuchten. Sie hatte volles, glänzendes Haar, zu einer Hochsteckfrisur im Stil der Sechzigerjahre getrimmt, die allerdings derart in Auflösung begriffen war, dass einzelne Strähnen auf Höhe der Taille hingen. Das Oberteil war zur Hälfte aufgeknöpft und rückte ihre Brüste — zwei bleiche Dreiviertelmonde — ins Blickfeld. »Wann um alles in der Welt beendest du endlich deine Unterhaltungen mit all diesen Leuten?«, fragte sie.
    »Lelanie Loftsgarten«, sagte Luther. »Wir haben uns gestern bei Barnes & Noble kennengelernt. Lelanie ist Schriftstellerin. Dichterin Schrägstrich Dramatikerin. Lelanie, das ist mein zweidimensionaler Freund, J.P. Morgan. Ihm mangelt es an Empathie Schrägstrich Mitgefühl.«
    »Ich habe von Ihnen gehört«, sagte die Dichterin/Dramatikerin. »Sie sind Banker oder so, nicht wahr? Bankern mangelt es an Empathie, nicht wahr? Aber sie können nichts dafür, schließlich müssen sie so sein. Weiß der Himmel, was sonst mit unserem Geldsystem passierte.«
    »Danke für Ihr Verständnis«, sagte ich.
    »Ich nenne sie meine kleine Walküre«, sagte Luther.
    Luther brachte mich zur Tür.
    »Du bist ein gottverdammter Idiot«, sagte ich.
    »Senke deine Stimme«, flüsterte Luther. »Ich bin Künstler, J.P. Ich ziehe Frauen magisch an. Das ist der Ausgleich für das Kreuz, das wir Künstler tragen. Es ist außerdem eine kleine Entschädigung für das heldenhafte Einsiedlerdasein, das man führt. Ein Lebensentwurf, der dein bürgerliches Vorstellungsvermögen über Gebühr beansprucht, ich verstehe das.«
    »Du bist ein ausgemachter Schwachkopf«, sagte ich.
    »Der Künstler hat Bedürfnisse, die einem gewöhnlichen Menschen wie dir immer fremd sein werden.«
    »Du glaubst, Carla wird das einfach so hinnehmen, ja?«
    »Sie muss es nicht erfahren, oder?«
    »Auf Wiedersehen, Luther.«

22
    Der Sturm fegte in Böen von achtzig Stundenkilometern herein, begleitet von Regen, der mit der Heftigkeit eines tropischen Wolkenbruches niederging. Ich musste regelrecht gegen den Wind ankämpfen, um zu meinem Wagen zu gelangen. Es war definitiv Walkürenwetter. Wotan oder Thor, einer von beiden murmelte in den schwarzen Wolken vor sich hin.
    Ein paar Grundstücke von Luthers Haus entfernt wässerte eine Sprinkleranlage einen Rasen vom Ausmaß zweier Tennisplätze. Wasser floss über den Bürgersteig und die Straße hinunter. Es war eine automatische Sprinkleranlage und das Roboterhirn, das die Ventile regulierte, war sich der Flut von oben nicht bewusst.
    Das Rohrleitungssystem unter den Sprinklern führte reines Wasser aus dem Hueco Bolson heran, das hier

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