Götterdämmerung in El Paso (German Edition)
verarbeitete sie in meinen Träumen. Diese Träume waren in der Tat wie harte Arbeit. Wenn ich aus ihnen erwachte, war ich verschwitzt und fühlte mich wie gerädert, als hätte ich im Schlaf einen Huckerstuhl voller Ziegelsteine durch die Gegend getragen. Die Träume waren ohne inhaltlichen Zusammenhang, liefen ab wie Filmspulen, die jemand in wahlloser Reihenfolge einlegte. Ein Traum führte mich zurück in den Wadi, wo ich mein M16 auf Automatik stellte. Der Schäfer mit dem Hirtenstab verwandelte sich in einen Hammurabi-Elitesoldaten samt AK-47. Ich roch den ekelerregenden Gestank der verbrannten Leichen in dem irakischen Mannschaftswagen, brutzelndes menschliches Fett. Schalten Sie ihn aus, Morgan!, sagte Sergeant Apostoli. Schalten Sie den Mistkerl aus!
»Du hast Fernando Peralta versetzt«, raunte eine geisterhafte Stimme. »Er hat schon mal in deinem Namen die Nazisse der Adult Protective Services kontaktiert und den Stein ins Rollen gebracht, was auch immer das heißen soll. Er meint, du würdest schon verstehen.«
Es war nicht Sergeant Apostoli, der da außerhalb meines Traumes sprach, es war Luther. Er hatte eine Funk-Wechselsprechanlage besorgt, ein Gerät lag auf meinem Nachttisch, das andere trug er stets bei sich. Für den Fall, dass ich etwas benötigte, sollte ich ihn anrufen. Er rief mich zuerst an.
»Scheiße«, sagte ich. »Ist er noch dran?«
»Du sollst ihn in fünfzehn Minuten zurückrufen. Meinst du, du schaffst das?«
»Wie spät ist es?«
»Kurz vor drei. Komm runter und iss etwas.«
»Welcher Tag ist heute?«
»Freitag, der dreizehnte.«
»Wie lange habe ich geschlafen?«
»Was soll das werden? Twenty Questions?«
»Wie lange?«
»Lange. Zwei Tage. Vielleicht auch drei. Ich hatte einiges um die Ohren und habe es noch. Überhaupt … ich will nicht über diesen Apparat mit dir sprechen. Komm runter und iss etwas.«
Im Hintergrund Stimmengewirr. Über die Sprechanlage hörte es sich an wie das keifende Gezänk von Schimpansen. »Ich bin gleich unten«, sagte ich.
»Mach dir keinen Stress, Bruder. Lelanie kann dir das Telefon hochbringen.«
»Ich muss mich anziehen«, sagte ich. »Ich muss mal raus, ’n paar Schritte gehen. Was gibt’s zu essen?«
»Wir haben Pizza geordert. Es ist noch einiges übrig. Und im Kühlschrank ist jede Menge Aufschnitt. Mehr steht derzeit nicht auf dem Speiseplan, nachdem ich ganz offiziell mein Junggesellenleben wieder aufgenommen habe.«
»Wer ist eigentlich ›wir‹?«
»Artistas del Paso, Bruder. Ich habe dir doch erzählt, dass ich eine Künstlerkolonie gründen will.«
»Und warum nennst du mich Bruder, Luther?«
»Weil wir Brüder sind, mein Junge. Im Kampf verbunden. Wie? Du spürst es nicht, das Band der Brüderlichkeit?«
Was ich spürte, war das sich lösende Band der Vernunft. Ich legte das Gerät beiseite, stand auf und zog mich an. Ich fühlte mich schwerelos und gleichzeitig als Spielball der Schwerkraft. Im Wechsel zwischen Schweben und Torkeln bewegte ich mich den langen Flur entlang und die Treppe hinunter, die ins Wohnzimmer führte.
Das Bizarre meiner Träume hielt die Wirklichkeit auf Distanz. Mir war klar, dass es sich nur um ein vorübergehendes Phänomen handelte, doch Garantien gab es keine. Ein Neurologe hatte von zerstörten Synapsen gesprochen und vor Dementia Pugilistica gewarnt — weitere Schläge auf den Kopf könnten mich in einen trunkenen Dauerzustand versetzen. Ich packte das Geländer mit beiden Händen und nahm die Stufen wie ein Kleinkind.
Luther thronte in seinem Sessel und zog an einem Joint. Neben ihm, auf dem Boden, saß Lelanie Loftsgarten, eine dickbauchige grüne Bong zwischen den Knien. Rund ein Dutzend Männer und Frauen verteilte sich irgendwie im Zimmer, einige rauchten, andere hielten Drinks in der Hand und alle sahen wahnsinnig kreativ aus. Überall verstreut lagen Manuskriptseiten.
Ich ging in die Küche und rief Fernie Peralta an. Wir verabredeten uns für Montagvormittag zehn Uhr. Er berichtete mir, dass er Pilar Mellado habe beschwichtigen können. Und auch die Vormundschaftsbehörde halte fürs Erste die Füße still, was den Verkauf von Velmas Haus anbelangte.
Ich nahm ein Glas Meerrettich-Senf aus dem Kühlschrank, eine Ecke alten Cheddarkäse und eine Dose Lone Star. Ich schnitt die grünen Stellen aus dem Käse und machte mir ein herzhaftes Sandwich. Gretchen sprang auf meinen Schoß und schnüffelte am Tellerrand. Dabei stieß sie mit der Nase gegen einen Klecks Senf, riss den
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