Götterdämmerung in El Paso (German Edition)
scheiß drauf. Durch meine Spanischkenntnisse habe ich quasi einen Sonderstatus. Über kurz oder lang wird jeder Cop im Westen über Grundkenntnisse in Spanisch verfügen müssen. Das Gehalt ist fast das Doppelte und dann Zulagen, von denen du nur träumen kannst.«
Er war aufgekratzt, sprach ohne Punkt und Komma — ein Mann, der zu erklären versuchte, warum er glücklich sein sollte, obwohl er es nicht war. Seine Augen klebten an meinem Gesicht, suchten nach der Lüge.
»Nur Mittagessen, ja?«
»Bei Uncle Bao’s an der North Mesa, nach dem Training. Sonst nichts, ich schwör’s.«
Sein Gesicht sah verhärmt aus — zu viele Überstunden, zu viel Ehrgeiz, zu viel Ehefrau. All das machte ihn älter, als er war. Mir tat inzwischen so gut wie alles weh und es war mir herzlich egal, ob er mir meine Version abkaufte oder nicht. Er hatte durchaus Anlass, es nicht zu tun, aber das war sein Problem, nicht meins.
»Ich schätze, ich habe ein paar gebrochene Rippen. Meine Nase ist ebenfalls im Arsch. Kann mich jemand zur Notaufnahme ins Columbia fahren?«
»Na klar. Ich will mir nur noch die Geschichte von Dschungel-Jim anhören.«
Ich sah hinüber zum anderen Streifenwagen.
Dschungel-Jim wurde von einem weiteren Cop in Zivil befragt. Bleib bloß bei der Wahrheit, Luther, schoss es mir durch den Kopf.
Immerhin war er Schriftsteller, nicht wahr?
33
Der Hausverwalter erklärte, die Versicherung komme für die Kosten der Instandsetzung des Apartments auf, allerdings seien die Schäden so enorm, dass die Arbeiten einige Wochen in Anspruch nähmen. Luther bot mir eines der sieben Schlafzimmer in seinem Haus an.
Ich hatte zwei gebrochene Rippen, ein Knochen meiner Orbita war angeknackst, ein Zahn fehlte, drei andere waren locker, dazu ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades und eine geschwollene Nase, die zum Glück nicht gebrochen war. Und man entfernte eine Schrotkugel aus meiner linken Wade. Meine linke Gesichtshälfte schimmerte purpurfarben, in allen Schattierungen, durchsetzt mit etwas Gelbgrün. Die Leute von der Notaufnahme verbanden mich und drückten mir ein Röhrchen Lortab plus Rezept in die Hand. Bei der erstbesten Gelegenheit warf ich beides weg. In seinem Arzneischrank hortete Luther besseren Stoff.
Ich nahm Luthers Angebot an und kroch in ein großes Doppelbett, unter afghanische Decken, legte mich auf riesige Kissen und schlief ein. Während der ersten zwölf Stunden weckte mich Luther alle zwei Stunden, um sicherzugehen, dass ich nicht ins Koma gefallen war. Anordnung des Arztes. Danach ließ er mich in Ruhe, was ihm hoch anzurechnen war. Er drosselte auch Wagner — verhaltenes Grollen statt Donnerhall. Oder er spielte Auszüge aus Tristan und Isolde, besänftigende Musik, die sich hob und senkte wie ein bewegter Ozean. Wagner musste auf Laudanum gewesen sein, als er diese abgeklärten Musikstücke komponiert hatte.
Es war ein großes Zimmer im ersten Stock, eher spartanisch möbliert — Bett, Kommode, Nachttisch —, dafür aber waren die Wände mit Kunst geradezu tapeziert, Kunstwerke, die Eingang in meine Träume fanden. Weibliche Akte in Öl, korpulente Frauen beim Nachmittagstee, Pillbox-Hüte auf den Köpfen, hochhackige Pumps aus Lackleder an den Füßen; Aquarelle von splitterfasernackten Männern mit ausgemergelten Körpern, nur mit Fliegen und Golfschuhen ausgestattet; Holzschnitte von ausdrucksleeren Alten, die einander mit mechanischem Sexspielzeug stimulierten; Landschaften unter blutroten Himmeln, bevölkert von aasfressenden Nagetieren. Diese Bilder mussten Luther gehören. Sie waren drastisch und spektakulär und beglückwünschten ihren Besitzer zu seinem gewagten avantgardistischen Geschmack. Genau das, was Luther kaufen würde, um seinem Image als richtungsweisender Literat Auftrieb zu geben.
Es gab auch mexikanische Kunst religiösen Inhalts und durchdrungen von der Spiritualität der Azteken, Tolteken oder Zapoteken: Flaschenkürbisse, aus denen Kinder und Schlangen sprossen, eine indianische Gottesmutter mit der Sonne in der rechten und dem Mond in der linken Hand, einem grünen Aal mit Flügeln aus zarten Federn, der aus ihrem Nabel schwamm. Die Sonne sah aus wie ein knackiger Apfel, der Mond wie eine dunkle Kugel aus geronnenem Blut. Als Ganzes betrachtet hatten diese Bilder die Wirkung von Hieronymus Boschs Triptychon Der Garten der Lüste — des Malers verstörende Darstellung eines Picknicks in der Hölle.
Mein erschüttertes Gehirn schluckte diese Bilder und
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