Götterdämmerung in El Paso (German Edition)
Martinez, im Ganzen oder das, was die Feuerameisen von ihm übrig gelassen haben. Danke für das Gespräch, Mr. Morgan.«
Robert T. Eggers erhob sich von der Bank. »Vielleicht möchten Sie ja Ihre eigene Situation überdenken, einiges loswerden, bevor die Sache in die finale Runde geht.« Er starrte mehr als nur einen Moment in seinen Stetson, bevor er ihn wieder aufsetzte. Dann sah er nach oben, in den Himmel.
»Wird ’n heißer Tag heute«, sagte er freundlich und verschwand so leise, wie er gekommen war.
Ich spazierte den Hügel hinunter zum Worrell Hall. Die Eingangstür war offen, das Sekretariat allerdings unbesetzt. Ich ging die Treppe hoch in den zweiten Stock und weiter den dunklen Flur entlang zu Carlas Büro. Es war verschlossen, also war wieder mein Pickset gefragt. Mit dem Schloss inzwischen vertraut, brauchte ich keine halbe Minute, um die Stifte gefügig zu machen.
Im Büro hatte sich nichts verändert. Ich zog die linke unterste Schreibtischschublade auf und suchte nach etwas Bestimmten. Der Text mit der Überschrift »Ziele und Methoden der HBB« war für mich jetzt wesentlich interessanter als bei meinem ersten Besuch. Ich setzte mich und begann zu lesen.
36
Carla wurde am Montagmorgen festgenommen. Sie hatte um neun Uhr vor ihren Studenten gestanden, was man als mutigen oder als naiven Akt bezeichnen könnte oder beides. Wahrscheinlich beides. Die Hälfte der Vorlesung war bereits vorbei, als die Cops hereinplatzten und Carla Handschellen anlegten. Keine Ahnung, was sie sich dabei gedacht hatte. Vielleicht wähnte sie sich in moralisch höheren Sphären und glaubte, so unangreifbar zu sein. Die Sache als Schutzschild — ein Trugschluss, dem die Gerechten oft zum Opfer fallen.
Man brachte sie in die Haftanstalt an der East Overland Avenue, legte ihr aber kein Verbrechen zur Last. Vielmehr überzeugte der Staatsanwalt einen Richter, eine Material-Witness-Order zu erlassen, was bedeutete, dass man Carla als unverzichtbare Zeugin mehr oder weniger zeitlich unbegrenzt inhaftieren konnte.
Ich rief Fernie Peralta an und schilderte ihm die Situation, ließ dabei jedoch gewisse Details aus, die er nicht zu wissen brauchte. Fernie war kein Strafverteidiger, dafür aber ein compa, ein Kumpel des Staatsanwalts. Ihre Frauen waren ebenfalls miteinander befreundet und man besuchte sich oft gegenseitig und aß gemeinsam zu Abend. Fernie zeigte sich einverstanden, mit Carla zu sprechen, und eröffnete mir gleichzeitig, dass man wenig Handhabe hätte. Eine Material-Witness-Order sei wasserdicht. Er sah keine Möglichkeit, eine Fahrkarte nach Hause — also raus aus dem Knast — für Carla auszuhandeln. Sie würde in ihrer Zelle bleiben, bis die Texas Rangers hatten, was sie wollten. Ich bat Fernie, mich auf die Besucherliste zu setzen. Ich musste mit Carla etwas besprechen, worauf ich in ihrem Text über die Hans-Brinker-Brigade gestoßen war.
Ich besuchte sie am Mittwochvormittag. Sie steckte in einem orangefarbenen Overall und machte einen munteren, wenn nicht sogar aufgekratzten Eindruck, als ob ihre Inhaftierung den Beweis erbringe, dass alles, woran sie glaubte, richtig sei.
»Wenn Hector am Leben ist«, sagte ich, »dann ist er wahrscheinlich in Scottsdale, auf dem Anwesen von Selbiades.«
Wir sprachen über ein Telefon miteinander. Eine dicke Scheibe aus Plexiglas trennte uns.
»Nein«, sagte sie. »Er ist in Mexico City. Er hat mich angerufen.«
»Er hat dich angerufen?«
»Auf meinem Mobiltelefon. Am Montagmorgen, bevor ich festgenommen wurde.«
Sie zwinkerte mir zu, dann formte sie mit den Lippen das Wort Juárez, so deutlich, dass ich es ablesen konnte. Vermutlich wurde unser Gespräch abgehört, also fütterte sie den Lauscher mit Nonsens.
Ihre Lippen formten die Worte Hotel Maria Bonita in Juárez.
»Mexico City?«, wiederholte ich.
»Ja. In Mexico City ist er sicher.«
Hol das Geld. Bring es ihm.
Ich zuckte mit den Achseln. Carla verstand.
Im Union Depot. Schlüssel in meinem Büro. Unter der Stehlampe.
Ich brauchte keine Worte mit den Lippen zu formen, mein Blick sprach Bände: Du hältst mich für einen kompletten Idioten, oder?
Für den besten, erwiderte ihr Lächeln.
Es war das zuversichtliche Lächeln eines Menschen, der wusste, mit wem er es zu tun hatte. »Nimm dir, was du brauchst«, sagte sie über das Telefon. »Du hast es verdient, J.P. Ich habe mit Luther gesprochen. Er hat mir erzählt, was passiert ist. Es ist meine Schuld. Es tut mir leid.«
Ich wechselte das
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