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Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Titel: Götterdämmerung in El Paso (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis
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drahtig, hatte ein schmales Gesicht und für sein Alter auffallend graues Haar. Raymond Thrailkill.
    »Hallo, Raymond«, sagte ich.
    Er sah mich überrascht an. »Kennen wir uns?«, fragte er pikiert.
    »J.P. Morgan. Ich habe die Truppe verlassen, als du in deinem ersten Jahr warst.«
    Er brauchte ein paar Sekunden.
    »Leck mich am Arsch, der alte J.P. Morgan! Du hast in der Zwischenzeit aber mehr als eine Gordita verdrückt, Mann. Wenn ich mich recht erinnere, warst du früher eher Slim Jim Morgan. Meine Güte, du siehst aus, als wärst du in einen Propeller geraten. Wir sollten dich in die Notaufnahme bringen.«
    »Sehe ich genauso.«
    »Aber gib mir erst mal ’nen Überblick, okay? Ich nehm an, es handelte sich um ein Treffen oder so und die bösen Jungs sind ausgetickt.«
    »Genau so war’s.«
    Ich setzte ihn über alles ins Bild — Hector, Scales, Carla und Luther, die Kopfgeldjäger und die Hans-Brinker-Brigade. Nur das Paket aus dem Irak ließ ich unerwähnt. Ich wollte nicht, dass Carla ins Gefängnis wanderte.
    »Also Notwehr«, sagte er. »Die Kopfgeldjäger wollten gerade deine Kastanien rösten, als dein Freund zufällig mit der Mossberg auf der Bildfläche erschien. Ist es so gewesen?«
    »Nachdem die ihn so zugerichtet hatten, habe ich Luther die Waffe vor ein paar Tagen überlassen. Ich mache drei Kreuze, dass ich es getan habe.«
    »Der Lauf ist kürzer als erlaubt«, sagte er. »Laut Strafgesetzbuch des Staates Texas ein schweres Vergehen. 46.05, wenn ich mich nicht irre.«
    »Ohne dieses verdammte Ding würde ich jetzt nicht mit dir reden können.«
    »Das Teil geht ins Labor und dann entscheidet der Staatsanwalt, was zu tun ist. Nicht meine Entscheidung, du verstehst.«
    »Sicher, Ray. Du machst schon das Richtige.«
    Er kritzelte etwas in ein kleines Notizbuch, stieg aus, sprach mit einem Uniformierten und stieg wieder ein. »Die Highway Patrol hat den toten Nudisten gestern Morgen in der Toilette der Raststätte gefunden«, sagte er. »Sie konnten ihn aber nicht identifizieren. Seine Fingerabdrücke sind in keiner Datei. Danke für den Hinweis.«
    »Ich bin nun mal ein braver Bürger. Ich hab sogar ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht zur Wahl gehe.«
    »Ihr habt keine Anklage zu erwarten, du und dein Kumpel, es sei denn, sie finden noch etwas. Es spricht alles für Notwehr. Diese Hinterwäldler waren berüchtigt. Sind wie Neandertaler mit Steinen und Knüppeln auf die Jagd gegangen. Das Einfangen von Flüchtigen war nur Mittel zum Zweck, um Leute aufmischen zu können. Geld war ein zusätzlicher Anreiz. Du wirst bei der Polizei keinen finden, der ihnen eine Träne nachweint. Vor der Anhörung wird jemand vom Büro der Staatsanwaltschaft mit euch sprechen, ist aber kein Grund zur Panik. Wahrscheinlich müsst ihr noch vor der Grand Jury aussagen, aber es ist völlig ausgeschlossen, dass man gegen dich oder deinen Freund Anklage erheben wird.«
    Er stieg aus, öffnete die Hintertür und nahm mir die Handschellen ab.
    Ich hatte das Gefühl, reinen Tisch machen zu müssen: »Ich habe mich mit deiner Ex getroffen«, sagte ich. »Ist ’ne tolle Frau. Tut mir leid, dass es zwischen euch nicht hingehauen hat.«
    Er riss die Augen auf.
    »Zum Teufel, wovon sprichst du?«
    Ich erkannte meinen Fehler sofort. Mein Gott, ich war ihr voll auf den Leim gekrochen. Vielleicht hatte sie angenommen, ich sei eher bereit für ein Abenteuer, wenn sie mich in dem Glauben lasse, sie sei ungebunden. Vielleicht hatte es die Sache auch für sie einfacher gemacht. Wieder einmal hatte ich gegen die wichtigste Regel für männliche Singles verstoßen. Diesmal zwar unwissentlich, der Unterschied allerdings war nur ein hypothetischer.
    »Sie hat mir erzählt, ihr wärt getrennt. Es war nur eine Verabredung zum Mittagessen, Ray. Ich sehe sie zwei oder dreimal die Woche im Gold’s.«
    Er musterte mein Gesicht mit einer Eindringlichkeit, die eine Leiche ins Schwitzen gebracht hätte. »Wir sind getrennt«, sagte er, »aber nicht freiwillig. Vielleicht hast du nur gehört, was du hören wolltest.«
    »Bestimmt nicht, Ray.«
    »Also harmlos, ja?«
    »Ja, harmlos.«
    Er stieß ein trockenes, humorloses Lachen aus und zündete sich eine Zigarette an.
    »Wir gehen nach Phoenix«, sagte er. »Dani ist schon da und kümmert sich um eine Wohnung. Man hat mir die Leitung eines Reviers angeboten. Nun haben sie jemanden von außerhalb, was bedeutet, dass eine ganze Riege von Primadonnen richtig schön angepisst sein wird, aber

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