Goetterdaemmerung - Roman
einbalsamierten und daher faulenden Eingeweiden barst unter Freisetzung eines unerträglichen Geruchs während der Bestattungszeremonie und versetzte die Anwesenden in großen Schrecken.
NACHWORT
Friedrich Nietzsche war der Ansicht, Paris sei der eigentliche Boden für Wagner: «In Deutschland ist Wagner (…) bloß ein Mißverständnis.» Jenes Paris, das «Fatalisten, Verdüsterte, Kranke, zum Teil Verzärtelte und Verkünstelte, solche, welche den Ehrgeiz haben, künstlich zu sein», bewohnen, denn, so an anderer Stelle, Wagner sei der «Protagonist», der «größte Name» der europäischen Décadence. Für die Sichtweise des Philosophen spricht, dass die Wagner-Verehrung der literarischen und musikalischen Avantgarde in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts nirgendwo so ausgeprägt war wie in Frankreich. Von 1885 bis 1888 erschien die von Édouard Dujardin herausgegebene Revue Wagnérienne : Paul Verlaine und die jungen Dichter des Symbolismus huldigten dem Bayreuther Meister in Versen, Mallarmé suchte das Wesen seiner Kunst in einer wunderbar vagen «Träumerei» zu erfassen, und Wagner-Kenner wie Catulle Mendès oder Houston Stewart Chamberlain, der später als Propagandist von Nationalismus und Antisemitismus unrühmlich bekannt werden sollte, leisteten Überzeugungsarbeit.
Längst nicht alle, die sich hier und anderswo zu Wagner äußerten, hatten schon einmal eines seiner Musikdramen ganz gehört oder gar auf der Bühne gesehen. Nach der Niederlage im Krieg von 1870/71 wurde in Frankreich kein anderer deutscher Künstler so eindeutig mit säbelrasselnder preußischer Präpotenz identifiziert wie Richard Wagner, der sich in dem geschmacklosen «Lustspiel» Eine Kapitulation (1871) über die Zustände im belagerten Paris lustig gemacht hatte. Französische Patrioten setzten Aufführungen seiner Werke in der Hauptstadt erbitterten Widerstand entgegen. 1887 konnte Lohengrin im privaten Eden-Theater wegen chauvinistischer Protestdemonstrationen nur ein einziges Mal gegeben werden. Erst 1891 nahm die Pariser Oper eben diesen Lohengrin als erstes Werk ins Repertoire auf, die übrigen Opern folgten jeweils im Abstand von wenigen Jahren.
Pariser Melomanen konnten in den 1870er- und 1880er-Jahren nur kurze Ausschnitte aus Wagners Werk in Originalgestalt kennenlernen, meist Orchesterstücke (Walkürenritt, Meistersinger- Ouvertüre, Trauermarsch aus der Götterdämmerung u. a.), die die Dirigenten Jules Pasdeloup, Charles Lamoureux und Édouard Colonne in ihren vielbesuchten Sonntagskonzerten aufführten. Wer wie der junge Marcel Proust Zugang zu mondänen Salons hatte, wo sich gelegentlich berühmte Sänger produzierten, konnte dort wohl auch einmal Hans Sachsens Fliedermonolog oder Siegfrieds Schmiedelied hören. Ernsthaft Interessierte werden die Klavierauszüge studiert haben – Klavier- und auch Gesangsunterricht gehörten zwingend zum Bildungsprogramm bürgerlicher Frauen, und auch bei Männern waren entsprechende Fertigkeiten ungleich weiter verbreitet als heute. Dennoch: Wer Wagners Musik sowie sein Theater aus erster Hand kennenlernen wollte, musste nach Bayreuth oder München reisen.
Seit den ersten Festspielen 1876 besuchten zahllose französische Schriftsteller, Journalisten und Komponisten wie etwa die Wagnerianer Emmanuel Chabrier, Ernest Chausson, Vincent d’Indy, Claude Debussy und wohlhabende Dilettanten Bayreuth. Der Romancier Élémir Bourges gehörte nicht dazu: 1876 hätte sich der noch unbekannte Mittzwanziger die Reise nicht leisten können. Élémir Bourges ist einer der vielen Schriftsteller der vorletzten Jahrhundertwende, die heute fast ganz vergessen sind, obwohl sie von ihren Zeitgenossen und noch von der nachfolgenden Generation hoch geschätzt wurden: Zwei Jahre vor seinem Tod lernte Bourges Jean Cocteau kennen; der Freund Picassos und Erik Saties, der Richard Wagner entsetzlich verstaubt fand, hatte Götterdämmerung gelesen und war begeistert.
Bourges war in der südfranzösischen Provinz aufgewachsen, hatte das Gymnasium in Marseille besucht und, offenbar nicht sehr zielbewusst, in Aix-en-Provence studiert; er hatte die klassischen und modernen Autoren gelesen, hatte Hector Berlioz bewundert und war 1874 nach Paris gegangen, um Schriftsteller zu werden. Hier lernte er – in den Sonntagskonzerten – die Musik Richard Wagners kennen. Schon Anfang der Achtzigerjahre war er in der Pariser Literatenszene bekannt und geschätzt, schrieb regelmäßig für große Zeitungen und
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