Götterdämmerung
Mercedes schoss mit durchdrehenden Reifen aus der Blechschlange und kreischte quer über den Gehweg und ein Rasenstück davon, mit einem Fahrer hinter dem Lenkrad, der das unwahrscheinlich dumme Gefühl hatte, an den kompliziertesten Fall seines Lebens geraten zu sein.
9
Als die wacklige Türklingel über dem Durchgang zur Küche quer durch Erasmus’ Haus schrillte, stand Diana vom Sofa auf und tappte mit ausgestrecktem Arm durch die unordentlichen Bücherberge zur Tür. Sie konnte den Blick nicht von der staubigen Mattscheibe des kleinen Fernsehers wenden, den Baal und sein Herrchen unter einer Tonne zerlesener Taschenbücher ausgebuddelt hatten. Während sie durch das Chaos stolperte, starrte Erasmus gebannt auf den Bildschirm und strich seinem ruhig neben ihm sitzenden Hund mit der rechten Hand über den riesigen schwarzen Kopf. Ein oberflächlicher Betrachter hätte auf die Idee kommen können, er wolle nur den Hund beruhigen.
Dianas tastende Hand erreichte die Türklinke und drückte sie herunter. Sie zog die Tür auf und wollte zum Fernseher zurückwanken, als sich jemand räusperte und sie aus ihrer Trance riss.
«Sie erlauben, dass ich eintrete?», fragte eine kühle Stimme. Diana drehte sich um.
«Wie?»
Vor ihr stand ein etwa vierzigjähriger, glatthaariger Mann in elegantem Dunkelgrau, der einen großen Aktenkoffer bei sich trug. Dianas ausgelastetes Gehirn hatte keine größeren Kapazitäten mehr frei, um den Kerl einzusortieren, also legte es seiner Besitzerin den schnellen Schluss nahe, der da draußen sei garantiert einer der unzähligen Zeugen des wehrlosen Jehova und könne getrost wieder weggeschickt werden. Als Diana ihm gerade mitteilen wollte, sie und Erasmus wollten trotz der angespannten Lage nicht unbedingt zu den Auserwählten gehören, setzte der Mann ein ungeduldiges Lächeln auf und stellte sich vor.
«Ich habe einen Termin mit Herrn Weinberger. Mein Name ist Ernst … BND .»
«Oh», sagte Diana und trat zur Seite. Ihr Gehirn kappte alle Leitungen zum Fernseher und stellte dem Problem vor der Tür größere Kapazitäten zur Verfügung. «E… Herr Weinberger», sagte sie laut. «Der Herr vom Telefon ist da.»
«Das Telefon funktioniert», murmelte Erasmus, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden. «Sag ihm bitte, wir haben im Moment keine Zeit für so was.»
«Erasmus!», zischte Diana, und brachte Hund und Herrchen so immerhin dazu, kurz aufzusehen. Der Besucher nutzte unterdessen die günstige Gelegenheit und betrat das Haus. Es gelang ihm nicht ganz, seine Verwirrung wegen der originellen Bürogestaltung zu verbergen. Das hatte er sich anders vorgestellt. Irgendwie moderner. Technischer, metallischer, plastischer, hektischer und professioneller. Und vor allem … ordentlicher.
«Ernst, Herr Weinberger», sagte er und hielt dem kleinen Mann mit der wirren Frisur die Rechte hin.
«Ja», nickte Erasmus und schüttelte die Hand. «Das kann man wohl sagen.»
Nach einem kurzen, verwirrten Sprung fiel der Blick des Berufskriminalisten auf den Fernseher. Hinter einem sprechenden Reporterkopf waren Menschenmengen, Absperrungen, Wasserwerfer und ein vollverglastes Bürogebäude zu sehen.
«Darf ich Platz nehmen?»
Wortlos bugsierte Erasmus einen weiteren Bücherstapel vom Sofa auf ein freies Teppichstück und wies mit der Hand auf den abgewetzten Bezug. Ernst setzte sich, platzierte den geräumigen Koffer auf seinen Knien, ließ die Schlösser aufspringen und holte eine dünne Aktenmappe, ein Laptop und ein flaches Gerät mit Steckdosenstiften und Antennenstummeln heraus.
«Sie sind nicht satellitenvernetzt, oder?»
Erasmus schüttelte den Kopf, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden. Während er aufstand, um das Programm zu wechseln, hielt Ernst ihm das Gerät hin.
«Schließen Sie das hier an. Sie werden es brauchen.»
Ein verunsichert an seiner Krawatte nestelnder Moderator erschien auf dem Bildschirm. «Ja, ’n Abend zur Sportschau im Ersten», murmelte er, hängte ein «äh» an, füllte eine kurze Pause mit verwirrten Blicken und las dann ungläubig von der Stichwortkarte in seiner Hand: «Cristiano Ronaldo und Franck Ribéry verletzt – damit steht vor dem heutigen dritten Spieltag Meister und Pokalsieger Schalke 04 schon früh unter Zugzwang.» Er ließ die Karte sinken und warf einen Blick zur Seite. «Sagt mal, spinnt ihr …?»
Diana nahm dem Mann im grauen Anzug das kompakte Technikwunder ab und bestaunte es kurz und ehrfürchtig, bevor sie es auf dem
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