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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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können den Vertrag unterschreiben.
    «Gestatten Sie», sagte er mit einem Lächeln, das von Ohrläppchen zu Ohrläppchen reichte, «Nattermann, Nattermann Immobilien Augsburg. Ich hätte Ihnen da einen
sehr
interessanten Vorschlag zu unterbreiten, meine Herren.»
    Ludwig der Vierzehnte bekam den Mund nicht mehr zu. Erst blitzte es in seinem Prachtschloss, dann saß ein Mann auf dem Boden, der frisiert war wie die besten Pferde im königlichen Stall, und nun wagte dieser unverschämte Crétin es, ihm, dem Sonnenkönig, dem Mittelpunkt des Universums, unaufgefordert eine kleine weiße Karte vor die gepuderte Nase zu halten. Der Sonnenkönig war nicht amüsiert.
    Aber das hatte Nattermann auch nicht erwartet. Er traf selten Leute, die sich spontan freuten, ihn zu sehen. Das brauchte seine Zeit. Er setzte sich auf einen der freien Stühle und tat, was er gelernt hatte. Er schleimte sich fest.
    Es sollte das letzte Mal sein.
     
    Die bayerischen Landtagsabgeordneten Maischinger, Regler, Hersching, Kuhn und Hoibler verschwanden während einer gemeinsamen Waldwanderung am vierzehnten August des Jahres 2008 blitzartig in der Zeit und tauchten viertausend Jahre früher an genau der Stelle wieder auf, über die sie gerade gewandert waren. In einem Waldstück, das zu jener grünen Vorzeit noch gesund und munter vor sich hin wucherte, vor Beeren und Pilzen schier aus den paradiesischen Nähten platzte, und aus dessen Flüssen man die Fische mühelos mit der Hand fangen konnte.
    Maischinger hatte ein Zippo in der Hosentasche und wurde nach kurzer Diskussion und geheimer Stöckchen-Abstimmung zum König gewählt. Regler trug einen Schlüsselanhänger mit Nagelschere bei sich und wurde zum Verteidigungsminister ernannt. Hersching, der fünfzig Euro vor dem Versaufen in der kleinen Waldwirtschaft hatte retten können, wurde Finanzminister, Kuhn – wegen seiner Anfälligkeit für Krankheiten – Gesundheitsminister und Hoibler das, was er vorher auch gewesen war, nämlich Fraktionssprecher. Nach genau einer Woche (und diversen hartnäckigen Streitereien darüber, wer für was zuständig und wo denn nun eigentlich das verdammte Volk sei) waren die fünf verhungert, weil keiner von ihnen einen Kühlschrank oder eins von diesen netten Silbertabletts mit den Horsd’œuvres hatte aufspüren können.
    In ihrer Heimatzeit wurde ihr Verschwinden erst wesentlich später bemerkt, und das auch nur, weil Regler seinen Dienstwagen im Halteverbot abgestellt hatte.
     
    All dies war nicht mehr und nicht weniger als die Spitze eines Eisberges. Eines Eisberges, der blitzumzüngelt durch die gesamte Menschheitsgeschichte ragte, vom ersten Tag bis weit, weit in die Zukunft hinein.
    Eine Zukunft, die sich veränderte.

8
    Cameron blätterte nachlässig in den
Black-Mask
-Heften, die auf Gregorys Bürofensterbank in der Sonne verwelkten, und betrachtete die fernen Gipfel der San-Gabriel-Mountains. Er dachte kurz an sein Haus in den Foothills, an die Ruhe, die ihn dort erwartete, nahm dann das zerkaute Streichholz aus dem Mundwinkel und drehte sich nach dem Bezirksstaatsanwalt um. Er spitzte die Lippen.
    «Verstehe», sagte er und kratzte sich kurz zwischen Schläfe und Augenbraue. Er war geschlagene zehn Minuten vor dem massiven Schreibtisch des nicht minder massiven Bezirksstaatsanwalts Dick Gregory auf und ab gewandert und hatte praktisch nichts gesagt, abgesehen von gelegentlichen «Hmmh»s und «Aha»s. Gregory, ein ständig schwitzender, von dunklem Stoff umhüllter Fels, schob sein imposantes Doppelkinn vor und sagte: «Kriegen Sie raus, wer oder was dahintersteckt.»
    Cameron betrachtete das Streichholz und sehnte sich nach einer Zigarette. «Das ist kein normaler Fall, Gregory.»
    «Wenn meine Schwiegermutter mit einem Kellner nach Reno durchgebrannt wäre, hätte ich nicht ausgerechnet Sie angerufen. Ich weiß, dass Sie teuer sind. Aber ich weiß auch, dass Sie gut sind. Oder waren Sie gut?»
    Cameron lächelte mit der linken Gesichtshälfte. «Was Sie mir da erzählen, klingt, als wäre es einem betrunkenen Skriptschreiber zwischen Couch und Sekretärin eingefallen. Eine Bande Mönche, die sich am Strand von Venice geißelt, ein Wagentreck auf dem MGM -Gelände, den niemand bestellt hat, weil dort gerade kein Western gedreht wird – und ein Haufen Vermisstenmeldungen aus allen Teilen der Stadt …»
    «Aus allen Teilen des Landes.»
    «Das macht es nicht einfacher.»
    «Ich muss was mit den Ohren haben. Wer hat gesagt, es sei

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