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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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Schreibtischstuhl abstellte. Ernst betrachtete den kleinen Mann im blauen Overall und fragte sich, ob es besonders klug gewesen war, ausgerechnet ihn anzurufen. Zwar war die Detektei Argwohn beileibe nicht die einzige, die man mit diesem überaus sonderbaren Fall betraute, aber ihr Besitzer wirkte wahrhaftig nicht wie jemand, der kompetent und zügig Erklärungen für unerklärliche Phänomene ablieferte. Ernst stellte seinen Koffer auf den Boden und räusperte sich, weil Erasmus noch immer wie paralysiert den Bildschirm anstarrte.
    «Wie Sie ja selbst sehen, Herr Weinberger, stecken wir in Schwierigkeiten. Ungeheuren Schwierigkeiten.»
    Der Sportmoderator auf dem Bildschirm, inzwischen so verwirrt, dass er die Livesendung offenbar für eine Aufzeichnung hielt, blaffte seinem unhörbaren Regisseur die Frage entgegen, wieso, bitteschön, Düsseldorf plötzlich Vierter sei, Dortmund Siebzehnter, Mainz in der zweiten Liga und «Jürgen Klopp» nicht mal mehr in der Wikipedia zu finden. Dass der Typ über Nacht spurlos verschwunden sei, könne ja noch angehen, aber doch nicht aus dem gesamten Internet, aus dem man doch wohl, nochmals bitteschön, nicht mal etwas löschen könne, was man löschen
wollte
, zum Beispiel diese bescheuerten Fotos von ihm selbst und Frau Schrödter damals auf der Abschlussparty auf Malle.
    Erasmus schaffte es endlich, seinen Gast anzusehen.
    «Ich habe Ihnen hier», fuhr Ernst erleichtert fort, «in dieser Mappe, die letzten Unterlagen mitgebracht, bin aber sicher, dass mittlerweile schon wieder Dutzende von Meldungen aus der ganzen Welt in unserer Zentrale in Wiesbaden eingegangen sind. Wir wissen bisher nicht genau, wer oder was hinter diesen Vorfällen steckt, vermuten aber, dass wir es mit einem ungewöhnlichen Fall von Massenhypnose oder …»
    «Quatsch», brummte Erasmus kopfschüttelnd.
    «Bitte?»
    «Wie soll denn das Massenhypnose sein? Darf ich die Mappe mal sehen?»
    Ernst reichte ihm die Mappe. Erasmus überflog die Seiten und nickte, obwohl er nicht verstand, was dahintersteckte. Er nickte, weil die Unterlagen das bestätigten, was er in den letzten zwei Stunden von all den Reportern erfahren hatte, die draußen durch die große weite Welt rasten. Obwohl die verschiedenen Vorfälle inhaltlich scheinbar nicht zusammenhingen, gab es gewisse Übereinstimmungen. Während es bei den plötzlich überall auftauchenden Menschen keine Gemeinsamkeiten zu geben schien, waren die meisten der ebenso plötzlich Vermissten in der Dienstleistungsbranche beschäftigt gewesen, vorwiegend bei Banken, Versicherungen, Werbeagenturen, in Behörden oder als Makler. Noch auffälliger als das war jedoch, dass die jeweiligen Zeugen dieser Vorfälle in allen bisher bekannten Fällen von kurzen Blitzen und Donnerschlägen oder Sturmböen berichteten. Was das zu bedeuten hatte, wusste Erasmus natürlich nicht. Er konnte es sich nicht mal denken. Aber es sah aus wie die einzige Spur in dem unheimlichen Chaos, das die Welt erfasst zu haben schien. Er schloss die Mappe und sah wieder auf.
    Der Kriminalist schüttelte tadelnd den Kopf.
    «Sehen Sie?» Er deutete auf den Bildschirm, auf dem inzwischen nicht mehr der verwirrte Sportansager zu sehen war, sondern ein dezenter Live-Schriftzug vor der Glasfassade eines großen Gebäudes. «Die Allianz-Versicherung in Hamburg. Seit gut einer Stunde hermetisch abgeriegelt. Niemand weiß genau, was im Inneren des Gebäudes vorgeht, aber wie es aussieht, sind irgendwelche Terroristen eingedrungen. Die Verluste gehen schon jetzt in die Hunderttausende … Finanziell, meine ich …»
    Erasmus deutete ebenfalls auf den Bildschirm. «Aber die Leute, die da vorn von der Polizei abgedrängt werden, die mit den
Occupy
-Transparenten … für mich sieht es aus, als würden die jubeln.»
    «In der Tat.» Ernst nickte und zog den Finger wieder ein. «Das tun sie auch. Die Polizei ist angewiesen worden, die Leute nicht mehr ins Gebäude zu lassen.»
    «Aber weshalb gehen denn Ihre Leute nicht rein und räumen das Haus?»
    «Wir haben bereits dreißig Schwerverletzte zu beklagen, Herr Weinberger. Allem Anschein nach sind die kriminellen Besetzer erstens bewaffnet und schrecken zweitens vor nichts zurück. Sie haben sogar gekochte Dachpappen aus den Fenstern im vierten Stock gegossen. Die Bundeswehr … sollte eigentlich schon auf dem Weg sein, nur scheinen gewisse Truppenteile plötzlich nicht mehr auffindbar zu sein …» Wieder schüttelte Ernst den gutfrisierten Kopf.

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