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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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Gonfried nach dem 96 .  2 .  3069 Denkmäler errichten können, denn die Erde war schon lange vorher zu einem öden, jämmerlichen Wüstenball verkommen. Einem Wüstenball, der sich nur sehr langsam daranmachte, wieder Leben auf sich entstehen zu lassen. Die Erde begann mit einigen unkomplizierten, hirnlosen Einzellern und fragte sich, ob sie nochmals Fische erfinden sollte oder ob die blöden Viecher letztlich doch nur wieder auf die grandiose Idee kämen, aus dem Wasser zu hopsen und sich zu Menschen zu entwickeln. Mutter Erde grübelte nicht lange. Sie verzichtete auf die Fische.
    Die Verhütung Gonfrieds war unbestreitbar der gravierendste Eingriff der göttlichen Äpfel. Aus menschlicher Sicht war er sicherlich auch der unglücklichste. Aber wer konnte es Mutter Erde verdenken, dass sie das ein bisschen anders sah? Niemand. Schon aus dem einfachen Grund, dass zu diesem Zeitpunkt niemand mehr da war, der denken konnte.
    Wenden wir uns also Zeitpunkten zu, die aus menschlicher Sicht wenigstens ein bisschen erfreulicher waren.
    Die Neuzeitsterblichen standen mit aufgeklappten Mündern und schreckgeweiteten Augen vor den Zeugnissen ihrer Geschichte und suchten nach Ankern. Plötzlich war dies nicht mehr da, hatte nie existiert, das Lieblingsbuch, die Lieblingsmusik, das Lieblingsgemälde; zu Papier oder Leinwand gebrachte Gedanken waren plötzlich nicht mehr nachschlag- oder betrachtbar, nur noch vage in den hintersten Ecken der Gehirne vorhanden, geschichtliche Daten standen nicht mehr fest, nicht mal mehr wacklig, sie lagen auf dem Bauch. Wer hatte eigentlich welchen Krieg gewonnen? Und wer würde ihn morgen gewonnen haben? Hatte es einen Napoleon gegeben? Oder drei? Oder sechs? Existierte Preußen noch immer? Gehörte Nordamerika wieder zu Großbritannien? War Frankreich englisch? Oder war Indien deutsch?
    Gnh und Ngh saßen in einer restlos überfüllten Zelle im Keller des Düsseldorfer Polizeipräsidiums und klammerten sich hartnäckig an ihre Keulen. Die zuständigen Beamten wussten nicht genau, was sie mit den beiden Inhaftierten machen sollten, denn die von ihnen entführte und mit ihnen wiederaufgetauchte Nadja Keilmann hatte sich geweigert, Anzeige zu erstatten. Da die Beamten allerdings auch nicht wussten, was sie mit den ägyptischen Sklaven, den Yankees, der Garde des Zaren, der Beduinenhorde und Herrn Cortez machen sollten, verrammelten sie die Fenster des Reviers und verschanzten sich wimmernd hinter ihren Schreibtischen.
    Vielleicht wären sie ein bisschen weniger verzweifelt gewesen, wenn sie gewusst hätten, wie viele ihrer Mitmenschen das Problem auf ähnliche Art und Weise aus der Welt zu schaffen suchten.

7
    Eine kühle Pazifikbrise warf hohe Wellen gegen Santa Catalina Island und schleuderte Möwen durch den Abendhimmel über dem kleinen Inselhafen Avalon. Cameron drückte sich den Hut auf den Kopf, marschierte mit großen Schritten über feuchtglänzende Straßen und winkte sich ein Taxi heran. Er stieg ein, raunte dem mexikanischen Fahrer die Adresse zu und ließ sich erschöpft in die abgewetzten Polster sinken. Er spürte jeden Knochen im Leib. Und er hörte seinen leeren Magen knurren. Auf der langen Fährfahrt von Long Beach nach Santa Catalina hatte er alles in den Pazifik gepumpt, was er in den letzten Tagen zu sich genommen hatte.
    Die Straßen auf der Insel machten ihrem Namen alle Schande. Als das Taxi nach wenigen Minuten vor Camerons Ziel stoppte, einer umfunktionierten Lagerhalle an der Küstenstraße, war der Magen des Privatdetektivs schon wieder ziemlich bedient. Er wusste nur nicht, was er noch ausspucken sollte.
    Cameron riss die Tür auf, drückte dem Fahrer einen zu großen Schein in die schmierige Pranke, verzichtete mittels einer kurzen Handbewegung auf das Wechselgeld und blieb auf dem Gehweg stehen. Die Rücklichter des Taxis verschmolzen mit ihren Spiegelbildern auf dem nassen Asphalt und ließen sich von der Nacht verschlucken. Vor dem schimmernden Diamantcollier auf schwarzem Samt, das aus der Nähe betrachtet eine grelle Stadt war, pendelte eine einsame Straßenlaterne im Wind und zauberte unter leisem, rhythmischem Quietschen Leben in die Schatten der herumstehenden Mülltonnen. Die Wellblechhalle war das einzige Gebäude weit und breit. Außer dem Doc fand es offenbar kaum jemand besonders anregend, auf einer gottverlassenen Pazifikinsel wie dieser zu hausen.
    Cameron setzte sich in Bewegung. Er knirschte über den groben Kiesweg, der zu einer schmalen

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