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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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Seitentür führte, klopfte an und wartete. Im Inneren der Halle fiel etwas um, dann fluchte jemand. Nach kurzer Stille knarrte die Tür einen Spalt weit auf, und eine zu groß geratene, fleischfarbene Billardkugel erschien hinter der massiven Sicherungskette. Doc spähte durch dicke Brillengläser ins Dunkel.
    «Wer ist da?», schnarrte er.
    «Ich bin’s Doc», sagte Cameron.
    «Wer soll’n das sein, ich?»
    «Cameron.»
    Für kurze Zeit war nur das Jammern der Laterne zu hören. Dann sagte Doc: «Ah ja.» Er giggelte kurz. «Und jetzt glauben Sie, ich lass Sie rein, was?»
    «Wir haben vorhin miteinander telefoniert.»
    «Ja, das weiß ich. Aber Sie haben mir auch mal was versprochen, wissen Sie noch? Neunzehneinunddreißig?»
    Cameron seufzte. Damit hatte er gerechnet. «Ja, dass ich Sie aus der Herschl-Geschichte raushalte, wenn’s irgend geht.»
    «Und?»
    «Es ging nicht.»
    «Das hat mich ein Jahr meines Lebens gekostet, Freund.»
    «Andernfalls wären’s zehn gewesen. Machen Sie jetzt auf?»
    «Nä.»
    Cameron schob sich den Hut in den Nacken und betrachtete die Fingernägel seiner rechten Hand. Bei anderer Lage der Dinge hätte er auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre wieder von dieser elenden Sandbank verschwunden. Aber diesmal brauchte er jemanden, der so irre war, dass es an Genialität grenzte. Einen, der wirklich alles wusste, was man wissen konnte, und trotzdem nicht schrill kreischend die Wände hochrannte oder sich nur noch mit Konservendosen unterhielt. Einen, der überraschende Schlüsse zog. Notfalls einen, der sich nicht immer in den Grenzen der Legalität bewegte. Einen wie Doc eben. Cameron sah wieder auf.
    «Jetzt hören Sie mal zu, Doc. Mag ja sein, dass Sie’s noch nicht gehört haben, aber da drüben», Cameron deutete mit dem Daumen der Rechten über seine Schulter, «liegen mittlerweile ein paar tausend Leute rum, in denen nicht mehr viel Blut zirkuliert. Also lassen Sie den Blödsinn und machen Sie die Tür auf.»
    «Flache?», sagte Doc interessiert. «Steife? So richtige abgekratzte abgenippelte Stillheimer? Geweste?»
    «Leichen, ja.»
    «Echt?»
    «Ja. Darf ich jetzt reinkommen?»
    Nach kurzem Augenfunkeln knallte Doc die Tür zu, entfernte die Kette und öffnete. Mit einer affektierten Verbeugung bat er Cameron herein.
    «Willkommen im letzten Refugium des Geistes, Schnüffler.»
    Cameron betrat die Halle. An der rechten Wand standen ein alter Schreibtisch mit Drehstuhl und einem Besuchersessel, links einige Bücherregale, dazwischen etliche flache Tische, auf denen Tiegel, Mörser, Retorten, Bunsenbrenner, Reagenzgläser und Hunderte von Flaschen und Phiolen herumstanden, deren Inhalt nicht wesentlich gefährlicher aussah als ein Gimlet voller Rasierklingen. Doc schepperte die Tür ins Schloss und schlurfte auf Cameron zu. Er wies mit der Hand auf den Sessel vor dem Schreibtisch.
    «Setzen Sie sich.»
    Cameron folgte der Aufforderung, und Doc nahm auf dem Drehstuhl Platz. Sitzend war der Glatzkopf im weißen Kittel fast so groß wie sein Besucher.
    «Tote», sagte Doc belustigt.
    «Jede Menge.»
    «Macht die Luft besser. Gibt sowieso zu viele Menschen.»
    «Schon möglich. Aber es trifft immer die falschen.»
    «Quatsch», schnarrte Doc. «Einer ist so gut wie der andere. Und man hat ausgerechnet Sie beauftragt, Licht in die Angelegenheit zu bringen?»
    «Hat man. Leider handelt es sich nicht um einen gewöhnlichen Fall, also brauche ich ein bisschen Hilfe. Um es kurz zu machen …» Cameron räusperte sich. «Wer könnte eine Maschine bauen … mit der man Menschen durch die Zeit schickt?»
    «Was?»
    Cameron warf der Hallendecke einen hilfesuchenden Blick zu. «Könnte jemand eine Zeitmaschine bauen, ja oder nein?»
    «Sind Sie bescheuert?»
    «Beantworten Sie erst mal meine Frage.»
    Der kleine Mann schüttelte ungläubig den Kopf. «Wie kommen Sie denn auf solche Ideen, Mensch? Sind Sie betrunken oder haben Sie Wells gelesen?»
    «Weder noch.»
    «Der hat sich nämlich mal so was ausgedacht … Aber technisch ist das nicht zu machen, nein. Geht physikalisch nicht, unmöglich, Punkt.» Doc schüttelte den Kopf. «Wieso fragen Sie eigentlich? Wie kommen Sie auf so was? Fragt ein Fersenkleber wie Sie nicht erst mal, wieso wer wann wo war, als das unschuldige Opfer ins Gras gebissen hat?»
    Cameron seufzte und ließ sich zurücksinken. «Also, von Anfang an, Doc …» Und er erzählte. Von den Hunnen, von den Siedlern, von seinem verschwundenen Buch, von Dave Link, von all

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