Götterdämmerung
wandte sich seinen verbleibenden Opfern zu.
«Jetzt ihr!», kläffte er.
Aber noch bevor Gwydiot über irgendwelche höchstwahrscheinlich höchst nutzlosen Zaubersprüche nachdenken konnte, geriet die Luft neben dem Riesen plötzlich in Bewegung und zauberte einen fassungslosen Ausdruck in die Gesichtszüge des Magiers. Kein wolkenloser Frühlingsmorgen konnte schöner sein als die Gestalt, die neben Ares aufgetaucht war. Eine große, schlanke, wundervoll proportionierte Frau, die zu allem Überfluss auch noch splitterfasernackt war und die Arme ebenso ungeduldig wie eindrucksvoll vor ihren unbeschreiblichen Brüsten verschränkt hatte. Gwydiot wusste plötzlich, dass das Leben ihm nach diesem Anblick nicht mehr sonderlich viel zu bieten haben konnte, und freundete sich fast mühelos mit dem Gedanken an, in wenigen Sekunden das Zeitliche segnen zu müssen. Wäre der Name dessen, was er da sah, Capri gewesen, hätte er vorher sogar noch ein geflügeltes Wort erfinden können.
Hätte. Nur hieß die Schöne eben nicht Capri.
«Ares?», sagte Aphrodite und atmete genug Luft ein, um sie allen Betrachtern zu nehmen.
Der Kriegsgott glotzte sie an und schluckte.
«Äh. Ja, Schatz?»
«Ich muss mit dir reden.»
«Ja. Ja, selbstverständlich, jederzeit, mein Augenstern, nur lass mich eben noch diese …»
«Jetzt. Sofort. Und zwar allein.»
«Hör zu, Kleines», wand sich der Riese, «ich muss noch zwei Minuten arbeiten, dann …»
Mit wippenden Korkenzieherlocken machte die unwirkliche Schönheit einen Schritt auf Ares zu. Viel näher konnte sie ihm nicht mehr kommen, jedenfalls nicht, solange er seine Rüstung trug. Gwydiots Augen versuchten, aus ihren Höhlen zu hüpfen.
«Ares», sagte Aphrodite, und ihre Stimme war wie ein warmer Magnet, «du hast die Wahl. Entweder kommst du jetzt, oder du kommst nie wieder. Jedenfalls nicht mit meiner Beteiligung, Schätzchen.»
«Aphrodite, bitte», jammerte Ares.
«Dieses … Kroppzeug da», sagte sie mit einer kurzen, verächtlichen Bewegung in Richtung der Sterblichen, «oder ich. Es liegt bei dir.»
«Ich …»
«Keine babylonische Rutsche mehr», gurrte die Göttin der Schönheit, «keine Kentaurenschaukel, kein Kyklopenrodeo und keine Säulenbemalung.»
«Das kannst du mir nicht antun», winselte Ares.
«Also?»
Sekundenlang herrschte vollkommene Stille.
Dann sagte Ares: «Ach, verfluchte Scheiße», seufzte laut und zuckte die Achseln. Aphrodite hakte sich zufrieden bei ihm unter und flüsterte: «Hephaistos ist noch mindestens zwei Stunden in der Schmiede», bevor sie dem tumb glotzenden Krieger wahnsinnig zärtlich ins Ohrläppchen biss. Ares stöhnte benommen, dann zischte es leise, und die beiden waren verschwunden.
Sie ließen Gwydiot mit zwei Gewissheiten zurück. Erstens, dass er noch nie einen debileren und zugleich entrückteren Gesichtsausdruck gesehen hatte als jenen, den der Riese eben zur Schau getragen hatte, und zweitens, dass er in seinem ganzen Leben noch keinen Gesichtsausdruck so hundertprozentig hatte nachempfinden können.
Gwenddolau zupfte energisch an seinem Ärmel.
«He, Gwydiot!»
«Ja. Hier», keuchte er und sah sie verwirrt an.
«Wir sollten Gawain suchen.»
«Wie?»
«Gawain.»
«Oh. Gawain. Ja. Sicher.»
Kopfschüttelnd versuchte der Magier die dampfenden Bilder zu verscheuchen, die vor seinem geistigen Auge tanzten, und folgte der seiner bisher bildschönen, nun nur noch relativ gutaussehenden Reisebegleiterin in den Wald. Während sie gemeinsam der Schneise folgten, die der fliegende Ritter in die Baumkronen des Waldstückes geschlagen hatte, bemerkte Gwydiot allerdings zu seinem Erstaunen, dass Gwenddolau nicht erleichtert wirkte, den Angriff überlebt zu haben, sondern … sauer. Ihren miteinander kollidierenden Augenbrauen und den hervortretenden Kieferknochen nach zu urteilen, war sie sogar wütend. Regelrecht zornig. Gwydiot hatte keinen blassen Schimmer, weshalb, hielt es jedoch für ratsam, sich nicht durch vorwitzige Fragen in etwaige Schusslinien zu begeben. Schweigend folgten sie der Spur, bis Gwenddolau plötzlich stehen blieb und Gwydiot sehr ernst in die Augen sah.
«Gwydiot?»
«Äh … ja?»
«Gilt dein Angebot noch? Mir alles beizubringen?»
«Was? Ach so. Selbstverständlich.»
«Deine Hand drauf.»
Gwydiot hielt ihr verwirrt die rechte Hand hin. Sie drückte sie, nickte entschlossen und stampfte dann zielstrebig weiter durch den Wald.
Sie fanden Gawain bei der Quelle. Zum Glück war er
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