Götterdämmerung
den Zotzil-Indios und gewissen guatemaltekischen Stämmen zu keiner Zeit der Menschheitsgeschichte Existenzsorgen machen musste.
Ganz im Gegensatz zu den Ägyptern, die seit der nachträglichen Nicht-Existenz des Gelehrten Champollion so schwach auf den Beinen sind, dass sie es nicht mehr ganz nach vorn geschafft batten. Sogar Muri-Muri , der Waldgeist der Bambuti, hat sich an Aton , Harachte
,
Re
,
Dedun
,
Isis
,
Osiris und Huh (oder Hab oder Hob oder Hib, die Auffassungen gehen in diesem Punkt auseinander, sogar unter Verwandten), vorbeischieben können und lugt nun zwischen der babylonischen Göttermutter Belet-Ili und Fujin , dem japanischen Windgott, zum Podest hinauf.
Während An und Utu , sumerische Götter, sich gerade von der Eskimogöttin Takanakasaluk erklären lassen, dass sie sich ihre Fingerspitzen hatte abhacken müssen, um Seerobben und Walrösser zu erschaffen, zwingt Adad (für gute Freunde: Hadad), babylonischer Wettergott, den neben ihm stehenden Zigeuner Devel , den besseren Platz zu räumen und verliert diesen gleich wieder an Akongo , den rabiaten Hauptgott der Ngombe, eines kleinen, aber umso aggressiveren Stammes aus dem südlichen Kongo …
Man könnte ganze Bücher über Lokis Zuhörer vollschreiben, wenn man wollte – aber man kann es auch prima sein lassen, denn genau das haben die Krabbelkram-Völker der Erde in den paar Jahrtausenden ihrer Existenz ja längst erledigt. Wer wollte also an dieser Stelle mehr verlangen als nur einen flüchtigen Eindruck dessen, was sich gewichtig wusend und wiseselnd vor dem Podest abspielte, das Loki just in diesem Augenblick betrat – und dafür auf den Beginn der Rede verzichten?
Loki breitete die Arme aus und wartete, bis sich die Unruhe unter den Göttern halbwegs gelegt hatte. Er räusperte sich, glättete seine ohnehin schon widerlich glatten Haare und begann mit lauter, nicht besonders angenehmer Stimme zu sprechen.
«Götter, Dämonen, Landsleute! Seid versichert, dass ich eure Aufmerksamkeit zu schätzen weiß. Ich will nicht lange zu euch sprechen, denn ich bin kein großer Redner. Ich will auch nichts von euch verlangen, denn nur ein Mensch glaubt genügend zu wissen, um etwas zu fordern.»
Anerkennendes Murmeln untermalte seine einleitenden Worte. Loki bat mit einer genau einstudierten Handbewegung, die bescheiden, aber kein bisschen devot wirkte, um Ruhe.
«Ich will euch also nur berichten, was ich mich fragte», sagte er. «Ich fragte mich, ob die Griechen und die Asen die größten, klügsten und mächtigsten Göttergeschlechter sind.»
Die Menge murrte empört.
«Ich fragte mich», fuhr Loki fort, «ob sie etwas Besonderes geleistet haben, etwas, dessentwegen wir sie als unsere Fürsten anerkennen müssten. Ich fragte mich, ob sie mit Fug und Recht über uns alle herrschen und gebieten. Und ich fragte mich, ob sie möglicherweise ein natürliches Recht hätten, über unser aller Schicksale zu entscheiden.»
Unruhe entstand in der Menge. Loki beendete die zahlreichen Diskussionen in kleiner Runde, indem er die Stimme wieder erhob.
«Und
meine
Antwort auf all diese Fragen lautet: Nein.»
Zustimmendes Murmeln.
«Aber!», sagte Loki mit erhobenem Zeigefinger, «ich bin beileibe kein Gott, der Unbescheidenheit für eine Tugend und seine persönliche Meinung für maßgebend hält. Also will ich
euch
fragen, was ihr von jenen Dingen denkt, die mir zu Ohren gekommen sind, Dingen, die mich veranlassten, hier und heute vor euch zu treten und eure Aufmerksamkeit zu erbitten.» Langsam ließ er das Kinn auf die Brust sinken, lauschte kurz und hob dann entschlossen den Kopf. «Die Griechen und Asen meinen also, es stehe ihnen frei, die gesamte Menschheit zu vernichten.»
Das Murmeln wurde unvermittelt lauter. Aus den hinteren Reihen riefen irgendwelche Götter «Was?», «Wie bitte?», «Das kann ja wohl nicht angehen!» und «Lauter!».
«Die Griechen und Asen», fuhr Loki bedrohlich ruhig fort, «töten also Sterbliche, die nicht an sie glauben. Die Griechen und Asen kümmert es nicht, ob diese Sterblichen an andere Götter glauben. Die Griechen und Asen vernichten die Grundlage unserer Existenz – und es schert sie einen Dreck, was wir davon halten. Sie bekämpfen die Menschen – und sie bekämpfen einander. So scheint es jedenfalls. Und so soll es scheinen. Aber lassen wir uns nicht von Spiegelgefechten täuschen. Denn im Verborgenen verfolgen die Griechen und Asen das gleiche Ziel. Sie haben Sterbliche auserwählt –
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