Götterdämmerung
und führen sie. Hierher.»
Loki wartete die Wirkung seiner Worte ab. Er nickte betroffen in das entsetzte Raunen der Menge und verkniff sich ein höhnisches Wiehern.
«Und deshalb frage ich euch», sagte er, etwas lauter und mit gekonntem Tremolo. «Wollt ihr beherrscht werden von Griechen und Asen?»
«Nein!», rumorte es aus einzelnen Götterkehlen.
«Wollt ihr, dass kein Mensch mehr an euch glaubt?»
«Nein!»
«Wollt ihr die totale Vernichtung der Menschheit?»
«Nein!»
«Wollt ihr sterbliches Fleisch an diesem heiligen Ort? Wollt ihr unter der Herrschaft von bornierten, dekadenten, anmaßenden Göttern vegetieren? Göttern, die diesen Titel zu Unrecht tragen? Wollt ihr elend krepieren und vergehen, weil Griechen und Asen über eure Zukunft gebieten?»
«Nein! Nein! Nein!», scholl es aus Abertausenden von Kehlen. Loki schwieg für einen Moment und wartete, bis sich das laut empörte Raunen und Murmeln gelegt hatten und alle Augen wieder auf ihm ruhten. Von den Zuschauern unbemerkt bewegte er Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand und gab so einem der Trolle ein Zeichen. Der Troll gab das Zeichen an einen anderen Troll weiter, der das Zeichen seinerseits an andere Trolle weitergab, bis es nach wenigen Sekunden seine endgültigen Empfänger erreicht hatte.
«Was sollen wir tun!?», kreischte es von links, aus den hintersten Reihen, und von rechts brummte jemand: «Ja, Loki, sag uns, was wir tun sollen!» Die anderen Götter schlossen sich den Fragen der Zwischenrufer murmelnd an.
«Ihr fragt mich?», sagte Loki und zog, scheinbar maßlos überrascht, die Augenbrauen hoch. «Ich bin nur hergekommen, um zu fragen. Nicht, um euch simple Patentvorschläge zu unterbreiten, denn hinter solchem Reden verbergen sich stets Lüge und Dünkel. Ich bin nicht vor euch getreten, um einen Führungsanspruch zu erheben. Nicht, um zu fordern. Ich bin nur ein gewöhnlicher Gott und will nichts Besseres scheinen als meinesgleichen.»
Die Menge murmelte ebenso anerkennend wie ratlos.
«Aber», fuhr Loki im richtigen Moment fort, «niemand wird mir nachsagen, dass ich nicht alles in meiner Macht Stehende tue, um uns vor der Herrschaft der Anmaßung zu bewahren.» Feierliches Pathos schlich sich im richtigen Augenblick in seine Stimme. «Freunde … So es
euer
erklärter Wille ist, werde ich es auf mich nehmen, jenes Damoklesschwert zu vernichten, das drohend über unser
aller
Köpfen schwebt. Wenn
ihr
es wünscht, werde ich mich mit ganzem Herzen und ganzer Kraft bemühen, den mit den Griechen und Asen verbündeten Sterblichen den Garaus zu machen, bevor sie ihre unwerten Füße auf den heiligen Boden unserer Heimat setzen können. Und erst wenn diese Gefahr gebannt ist, werde ich zu euch zurückkehren …»
Er ließ eine Pause entstehen und hielt einige vorlaute Klatscher mit einer energischen Handbewegung zurück.
«Erst dann werden wir entscheiden, was mit den Verrätern geschehen soll, die uns in schändlicher Weise an die Menschen verraten haben. Wir alle. Gemeinsam! Ich …», stammelte er mit gesenktem Kopf in den erneut anhebenden Applaus. «Ich habe lange gesprochen. Vielleicht zu lange. Aber … euch hinter mir zu wissen wird mir die Kraft verleihen, alle Prüfungen zu meistern, die da kommen mögen. Ich danke euch. Euch allen!»
Loki sah auf. Ohrenbetäubender Jubel brandete in Richtung des Podests. Der kleine Ase hob demütig die feingliedrigen Hände und erreichte so, dass der Applaus noch etwas lauter wurde. Nach wenigen Sekunden wandte er sich ab, kletterte eilig die Stufen hinunter, ließ sich einen Säbel reichen und verschwand unter wohligem Fauchen aus der Wohnanlage der Götter.
Der Applaus erstarb nur sehr langsam. Alle Anwesenden hatten schließlich gesehen, dass das Gesicht des Redners, ihres selbstlosen Retters und zukünftigen Führers, angespannt gewesen war, gezeichnet von der Verantwortung, die er nun allein zu tragen hatte, und von der Schwere der ihm bevorstehenden Aufgabe. Dicke Tränen der Rührung kullerten über die Wangen mancher Götter, und bewegt bedeckten einige die Augen mit zitternden Händen.
Loki raste unterdes mit versteinerten Gesichtszügen in ferne, einsame Sphärenregionen, ohne Luft zu holen, bis der Druck, der ihm wie ein Stein in der Kehle saß, schier unerträglich wurde. Als er endlich sicher sein konnte, dass ihn niemand mehr hörte, blieb er zwischen Zeit und Raum stehen und hockte sich hin. Den Ellenbogen auf das rechte Knie gestützt, senkte er die Stirn
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