Götterfall
hügelaufwärts gehen, zu dumm, sie hätte sich etwas überziehen sollen, der Wind war doch sehr frisch. Die Unterkunft hatte sich wirklich als luxuriös herausgestellt. Mit einem eigenen PC in jedem Zimmer, was Silvie die Möglichkeit gegeben hatte, sich minütlich auf den aktuellen Stand zu bringen, was die Aschewolke und den Flugverkehr betraf. Leider ging noch immer nichts! Im Gegenteil, die Vulkanologen prophezeiten weitere Eruptionen bis Mitte nächster Woche. Sie konnte hier nicht weg. Gut, ohne Karl würde sie sowieso in keinen Flieger der Welt steigen, aber wenn diese Lösegeldforderung – oder um was es auch immer ging – beglichen war, wäre er wieder bei ihr. Und dann, so schwor Silvie, säße sie im allerersten Flug nach Hause. Selbst wenn nur noch Plätze in der Economy frei wären.
Zudem hatte sie gestern Abend noch via Mail Kontakt zu ihrem Hausarzt aufgenommen, um ihn zu fragen, wie lang denn die Wirkung der Tabletten beim plötzlichen Absetzen anhielt. Seine Antwort war so unkonkret geblieben, dass Silvies Sorge dadurch eher vergrößert worden war: »Es gibt Menschen, die kommen eine ganze Woche beschwerdefrei über die Runden, bevor die Schilddrüse Alarm schlägt. Wie das im Fall Ihres Mannes sein wird, Frau Hüffart, müssen Sie abwarten.« Damit musste sie sich zufriedengeben. Sie hatte ihn ja schlecht fragen können, wie es denn um die Rückentwicklung der Nebenwirkungen stand. Sie war froh, überhaupt einen Mediziner gefunden zu haben, der einfach so und ohne große Untersuchung Rezepte ausstellte und sich seit Jahren nicht über den hohen Medikamentenverbrauch wunderte. Besser keine schlafenden Hunde wecken …
»Ich weiß gar nicht, ob Alf Urbich heute überhaupt im Büro ist«, gab Silvie zu bedenken. Das Aluminiumwerk lief natürlich Tag und Nacht, man sah die Neonröhren durch die Hallenfenster und hörte den Lärm der Maschinen. Doch Urbich hatte sie heute den ganzen Tag noch nicht gesehen, warum sollte ein Topmanager wie er am Sonntag arbeiten?
»Er erwartet uns bereits«, sagte Jarle. Dann schaute er sich nach ihr um. »Soll ich Ihnen meine Jacke leihen? Sie sehen aus, als wäre das raue Klima nicht so Ihr Ding.«
Gern nahm sie sein Angebot nicht an, aber der Fleece um die Schultern war dann doch brauchbar. »Wie geht es eigentlich Frau Tydmers?«, fragte sie. Urbichs Andeutung, dass sie die letzte Nacht gemeinsam mit Yngvisson in einer Hütte verbracht hatte, kam ihr wieder in den Sinn. Wahrscheinlich hatten sie sich gemeinsam ein bisschen vergnügt, sie waren beide vom selben Schlag und sahen das wahrscheinlich alles total locker – selbst nach einem so furchtbaren Tag wie dem gestrigen.
»Sie hat sich von ihrem Unfall erstaunlich schnell erholt. Eine sehr starke Frau!«
»Weiß man inzwischen, wer das war? Es könnte ja sein, dass der Angriff auf Wencke mit der Entführung meines Mannes zusammenhängt.«
»Das ist gut möglich, aber wir wissen nichts Konkretes.«
»Ich weiß, dass Götze flüchtig ist, Urbich hat es mir erzählt. Es würde mich nicht wundern, wenn er hinter allem steckt!« Er ging nicht darauf ein. »Sie müssen doch etwas wissen! Schließlich stehen Sie mit den Verbrechern in Kontakt! Sagen Sie mir, was los ist, sofort!«
Yngvisson blieb stehen. »Frau Hüffart, ich kann Ihre Aufregung verstehen und würde Sie gern überzeugen, sich nicht zu große Sorgen zu machen. Aber wenn ich Ihnen jetzt alles erkläre, bringt uns das kein Stück weiter. Und Sie wollen doch bestimmt so bald wie möglich Ihren Mann zurückhaben, oder nicht?«
Ja, natürlich wollte sie das. Was für eine Frage.
Dieses Mal benutzten sie einen Hintereingang und sparten sich den Marsch durch die Werkshallen. Und tatsächlich saß Urbich bereits in seinem Büro hinter dem gläsernen Schreibtisch und sein Gesichtsausdruck verriet, dass er bereits Bescheid wissen musste. Ein Pitbull, der sich noch nicht entschieden hatte, ob er angreifen sollte oder mit eingekniffenem Schwanz und winselnd den Rückzug antreten. Drei Millionen Euro, du meine Güte, diese Firma zahlte das doch sicher aus der Portokasse, versuchte Silvie sich Hoffnungen zu machen.
Sie setzten sich, und Urbich kam gleich zur Sache. »Ich habe mit den zuständigen Leuten gesprochen. Wir könnten das Geld rechtzeitig besorgen.«
»Wunderbar«, entfuhr es Silvie.
»Aber wir sind mit der Art und Weise, wie das Geld übergeben werden soll, absolut nicht einverstanden.«
»Wie bitte? Wo ist denn das Problem?«
Yngvisson
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