Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Götterfall

Götterfall

Titel: Götterfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
Vom Netzwerk:
Pfennig oder Cent und auch keine Isländische Krone verdient. Seine Vision von der transportablen Energie, dem Exportschlager aus Island, war niemals realisiert und somit auch kein lukratives Geschäft geworden. AlumInTerra hatte sein Patent zwar erworben, es dann aber in der Schublade verrotten lassen. Und Jarle hatte keine Möglichkeit gehabt, dies zu verhindern.
    Das musste bitter für ihn gewesen sein. Diese Erfindung war sein einziges Kind, das jedoch nie zur Welt gekommen war, nie laufen gelernt hatte, nie wachsen konnte. AlumInTerra hatte die Idee seines Lebens zu einer Totgeburt werden lassen. Und das – ja! – das war endlich das Motiv, mit dem sich Jarles Handeln erklären ließ. Es ergab Sinn.
    Und es war gefährlich. Denn wenn ein Vollblut-Wissenschaftler wie Jarle Yngvisson das Gefühl hatte, dass eine zwingende Folge eingetreten war, dann hatte das eine völlig andere Qualität. Er war ein Kenner der Kausalität, ein Ingenieur der Logik, er würde nicht ruhen, ehe das für ihn stimmige Ergebnis zur allgemeinen Tatsache erklärt würde. Jarle Yngvisson wollte seine Erfindung zurückbekommen. Oder das, was sie ihm hätte einbringen können. Notfalls mit Gewalt!
    Seine Wut auf AlumInTerra musste unfassbar sein.
    Trotzdem war er bei dieser Firma geblieben und hatte einen anderen, einen ganz und gar ungewöhnlichen Weg gewählt, um sich Genugtuung zu verschaffen. Warum? Weil er sich an eine alte Geschichte erinnern konnte. An den Verkauf der Kreuma-Werkedurch die Treuhand, an die angeblichen Schmiergelder und dass es damals die Entführung und den Mord an Jan Hüffart gegeben hatte.
    Wencke ließ sich auf einen der Sessel sinken, den Aktenordner noch immer vor sich aufgeschlagen. Konnte das sein? War das nicht viel zu viel? Wieder verglich sie die Schreiben, fügte die Daten zusammen und hinterfragte die Motivation aller Beteiligten. Und immer passte es. Wahnsinn! Wenn das, was sich da gerade in ihrem Kopf Stück für Stück zusammensetzte, tatsächlich ein ausgeklügelter Plan war, dann war dieser Mann nicht mehr weit von einem Gott wie Loki entfernt. Jemand, der sich das Schicksal anderer Menschen derart zunutze machte, war doch nicht von dieser Welt, oder?
    Jarle kannte ein ziemlich dunkles Kapitel in der Firmengeschichte. Wahrscheinlich hatte er damals alles über den Fall Jan Hüffart gelesen und war dabei auch auf den Namen Dorothee Mahlmann gestoßen. Und dann hatte er begonnen, selbst Schicksal zu spielen. Woher auch immer Jarle erfahren hatte, dass Doro damals schwanger gewesen war, er musste damit gerechnet haben, dass ihre Tochter irgendwann einmal nach ihrer Herkunft forschen würde.
    Laut Akten waren Jarles Verhandlungen mit dem Patentamt 2010 gescheitert. Und genau in diesem Jahr, so hatte Lena erzählt, war bei der Adoptionsstelle der Umschlag mit den Notizen eingegangen. Anonym  – doch Wencke war inzwischen sicher, den Absender zu kennen. Jarle Yngvisson hatte dieser jungen Frau eine komplette Lügengeschichte aufgetischt, laut der nur AlumInTerra schuld an ihrem Schicksal sein konnte. Warum? Weil er eine Verbündete brauchte, die an seiner Stelle gegen diesen Konzern kämpfte. Eine Mitstreiterin, die harmlos und unauffällig war, dazu leicht zu beeinflussen und wie ein Schutzschild einsetzbar. Es würde Wencke nicht wundern, wenn Lena glaubte, alle Fäden in der Hand zu halten, dabei warsie bloß die Erfüllungsgehilfin für einen Mann, der es vorzog, im Hintergrund zu agieren, bis … ja, bis wann? Worauf wartete Jarle? Welchen Moment hatte er gewählt, um in Erscheinung zu treten?
    In irgendetwas musste dieser Plan doch gipfeln. Im Weltuntergang? Wenn Gut und Böse, Wahrheit und Lüge den letzten Kampf ausfechten? Wenn die Berge beben, die Erde Feuer spuckt, der Himmel verschwindet und das Schicksal sich erfüllt?
    Mist, dachte Wencke, irgendwo spielte sich womöglich gerade Jarles verfluchtes Ragnarök ab, und sie war nicht dabei. Hockte in dieser Hütte, hatte endlich verstanden, worum es ging, und war zur Ohnmacht verdammt.
    Draußen vor den Fenstern war es so dunkel geworden, als hätte sich die Sonne inzwischen entschieden, zur Abwechslung mal unterzugehen. Wencke schaute auf die Uhr, es war kurz vor Mitternacht. Doch die Finsternis hatte eine andere Ursache, das war klar. Die gesättigte, schwarze Luft presste den feinen Staub durch jede Ritze, auf der Fensterbank glänzten die rußigen Körnchen, die heute Morgen vielleicht noch ganz tief unter der Erde geschlummert hatten.

Weitere Kostenlose Bücher