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Götterfall

Götterfall

Titel: Götterfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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an, der Wagen beschleunigte und die Gruppe am Ententeich verschwand aus Frankies Blickfeld.
    Der Justizangestellte fragte irgendetwas, das mit »okay?« endete. An seiner Miene war abzulesen, dass der Typ begann, sich Sorgen zu machen. Wahrscheinlich hatte er Schiss, dass Frankie kollabierte, einen Herzanfall kriegte oder weiß der Geier was. Frankie ließ ihn in dem Glauben. Sollte er doch denken, sein Schützling wäre am Ende mit seiner Kraft. Es war immer günstig, unterschätzt zu werden.
    Eine breite Straße führte stadtauswärts. Der Fahrer hatte das Radio angestellt, es lief eine Art Countrymusik, die aber nicht richtig englisch klang. Der Fahrer sang mit, und zwar gar nicht mal so falsch. Die Gegend erinnerte Frankie an Leipzig vor der Wende, nur in Farbe: Hochhäuser mit sozialistischem Charmeund wenig Grünzeug. Zwanzig Minuten später gab es dann gar nichts mehr zu gucken, weder Pflanzen noch Gebäude, stattdessen rostrote Einöde bis zu den Hügeln am Horizont.
    Plötzlich drehte der Fahrer die Lautsprecher hoch, lauschte einer Durchsage, schaute über die Schulter nach hinten und stellte eine Frage. Frankie versuchte, aus dem Kauderwelsch etwas herauszudeuten, offensichtlich gab es Probleme, die die drei dringend zu besprechen hatten. Der Blinker wurde gesetzt, sie verließen die Autostraße und hielten ein Stück weiter auf dem Seitenstreifen einer ungepflasterten Piste. Der Fahrer kramte sein Mobiltelefon heraus und führte ein ausgiebiges Gespräch.
    »Was ist denn los?«, fragte Frankie, auch wenn er wusste, dass ihn kein Schwein verstand.
    Der Aufseher, der ihm gegenübersaß, versuchte es pantomimisch: Er breitete die Arme aus wie die Tragflächen eines Flugzeuges und schüttelte dazu wild den Kopf.
    »Mein Flieger fällt aus? Aber warum?« Das Fragewort kannte Frankie sogar auf Englisch: »Why?«
    Jetzt bildete der Mann mit den Unterarmen ein aufgestelltes Dreieck und wackelte mit den Fingern, dazu machte er Explosionsgeräusche.
    »Ein Vulkanausbruch?«, riet Frankie.
    »Yes! Volcano!« Der Typ klatschte. Die Zeichensprache schien für allgemeine Belustigung zu sorgen. Auch Frankie tat so, als wäre das hier ein Kindergeburtstag, und wer die meisten Begriffe herausbekommt, gewinnt eine Tüte Gummibärchen. Dabei dachte allerdings er an etwas ganz anderes: Das hier war seine Chance!
    Während der Fahrer allem Anschein nach beschäftigt war zu klären, was jetzt mit dem Gefangenen anzustellen sei, begannen sich die andern beiden inzwischen zu langweilen. So wie es aussah, war Geduld gefragt. Die Bürokratie in Island gestaltete sichda bestimmt ähnlich kompliziert wie in Deutschland. Welches Gefängnis? Welche Haftbedingungen? Wer ist zuständig? Muss der Anwalt informiert werden?
    »Zigarette?«, fragte Frankie und versuchte einen Hundeblick. Den hatte er seit Ewigkeiten nicht mehr eingesetzt und er hoffte, es würde nicht zu albern wirken. »Bitte! Zigarette!«
    Die beiden schauten sich an, kamen wortlos überein, dass sie Frankie für harmlos hielten, bloß ein cholerischer Schlappi kurz vorm Infarkt, der heute blöderweise nicht abgeschoben werden konnte. Zudem bot sich hier im Niemandsland ja auch keine Fluchtmöglichkeit. Also keine Gefahr, entschieden sie einvernehmlich, öffneten die Schiebetür und ließen ihn aussteigen.
    Frankie stöhnte ein wenig, taumelte, hielt sich mit zitternden Fingern an der Karosserie fest. Er wollte wirken wie ein Häufchen Elend, und das gelang ihm anscheinend auch. Fast höflich wurde ihm die Tüte mit seinen Utensilien überreicht und er griff nach seinem Tabak. »Thank you!«, nuschelte er zwei weitere Vokabeln seines überschaubaren Fremdsprachenwortschatzes und begann sich eine zu drehen, schön langsam, schön lässig, die durften nicht merken, dass er unter Starkstrom stand.
    Sobald er die brennende Zigarette zwischen den Lippen spürte – mein Gott, wie gut der erste Lungenzug tat! –, hielt er sich die zusammengeketteten Arme vor die Augen, gab vor, dass die grelle Sonne ihn störe, und wechselte zur anderen Autoseite in den Schatten. Die Fahrertür stand offen. Er schenkte dem immer noch telefonierenden Chauffeur ein Lächeln, schaute aber in Wirklichkeit knapp an ihm vorbei. Super, der Zündschlüssel steckte. Und auf dem Beifahrersitz lag die Tasche, in der sein Kollege vorhin die Handschellenschlüssel verstaut hatte. Perfekt!
    Die Sache musste klappen, es gab nur einen Versuch, einen sehr schnellen, sehr präzisen Versuch. Genau diese Art

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