Götterfall
schwer zu erkennen. War es der Mann, der verhaftet wurde? Oder die politischen Machtspieler? Oder vielleicht das Geld, um das es letzten Endes immer geht?«
»Und Ihre Firma hat in diesem Fall das Geld vertreten, oder? AlumInTerra soll Schmiergelder gezahlt haben, und ich vermute, dass der Entführer von Hüffart gefordert hat, diese Wahrheit publik zu machen. Doch dann lief die Sache irgendwie aus dem Ruder …«
»Nichts passiert ohne Grund, Wencke. Ich bin Wissenschaftler, ich weiß das. Alles, was man tut, hat eine logische Konsequenz. Darauf bauen die alten Geschichten genauso auf wie die Naturgesetze.«
»Glauben Sie, dass immer alles irgendwann einen Sinn ergibt?«
»Glauben Sie es etwa nicht?«
»Aber wie kann der Tod eines Kindes in irgendeiner Weise sinnvoll sein?«
»Mir hat mal eine kluge Frau gesagt, man solle nie nach dem Warum fragen, sondern immer nach dem Wofür .«
»Ihre Mutter?«
Er lachte »Fast. Ich rede von Ihrer Mutter, von Isa!«
Wenckes Laune sackte merklich. Sie mochte nicht daran erinnert werden, dass da mal etwas gelaufen war. Eine Mischung aus Empörung und – ja, sie kam nicht darum, sich das einzugestehen – Eifersucht begleitete diese Vorstellung. Dabei wusste sie nicht einmal, wem sie was genau neidete: ihrer Mutter den knackigen Liebhaber oder Jarle die Erfahrung, dass sich mit Isa Tydmers allem Anschein nach nicht nur streiten, sondern auch philosophieren ließ. Außerdem ärgerte es sie, dass ihr Gesprächspartner es schaffte, über Gott und die Welt zu reden und konkreten Fragen auszuweichen: Was sollte das alles? Warum ausgerechnet das Bild mit dem toten Sohn auf dem Floß? Ach nein, er bevorzugte ja eine andere Art der Formulierung: »Also, dann frage ich nicht, warum, sondern wofür Sie Hüffart mit seinem Trauma konfrontiert haben!«
»Um seine Geschichte zu Ende zu erzählen.«
»Bei der wir alle Komparsen sind?« Wencke lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Sie war satt, obwohl sie kaum gegessen hatte, und es war ihr egal, wenn die Tischnachbarn jedes Wort mitbekamen, sollten sie sich überhaupt dafür interessieren.
»Wir?« Er schlang seinen Kartoffelmatsch herunter, wobei etwas Soße an seinem Bart hängen blieb.
»Alle, denen Sie ein Ticket spendiert haben. Frank-Peter Götze zum Beispiel.« Er reagierte nicht. »Und wofür schicken Sie mir Notizen meiner verstorbenen Freundin Dorothee Mahlmann?«
»Sie müssen etwas verwechseln, Wencke. Ich habe weder einen Götze eingeladen noch Notizen verschickt.« Endlich benutzte er die Serviette, Wencke hätte sonst immer auf diesen blaubraunen Fleck in seiner Gesichtsbehaarung starren müssen.
»Sie wissen aber schon, wer Frank-Peter Götze ist, oder?«
»Das weiß ich.«
Die Kellner räumten die Teller ab und fragten Wencke, ob es nicht geschmeckt habe, weil das Essen nahezu unangetastet vor ihr stand.
Jarle schob den Stuhl zurück und erhob sich. Er wirkte, als würde der Akku seines Strahlemann-Charmes demnächst zur Neige gehen. »Entschuldigen Sie, es war mir ein Vergnügen, doch ich muss mich auch um die anderen Gäste kümmern.«
Aus diesem Mann wurde Wencke beim besten Willen nicht schlau, und das machte sie allmählich wütend. Sie suchte sich ein freies Eckchen zum Telefonieren, was nicht so einfach war: Überall standen Symposiumsgäste, rauchten ihre Zwischengang-Zigaretten und quatschten weinselig in allen erdenklichen Sprachen. Der italienische Bildungsministeriumssprecher hatte inzwischen ein neues Opfer gefunden und umgarnte die dünne Justizdezernentin aus Ungarn. Da schien Wencke die etwas abseits liegende Damentoilette noch der ruhigste Ort zu sein. Alle Kabinen waren frei, Wencke wählte die hinterste, schloss ab und setzte sich erschöpft auf den geschlossenen Deckel.
Nach endlosem Tuten hatte sie ihre atemlose Mutter am Apparat.
»Ich bin’s.«
»Wencke! Oh, Moment, ich muss Emil wecken, der schläft schon seit einer halben Stunde tief und fest, wir haben nämlich den ganzen Nachmittag auf der Straße Federball …«
»Lass ihn schlafen! Bei euch ist es ja schon zwei Stunden später. Außerdem will ich mit dir sprechen. Es geht um Jarle.«
Isa war ganz aus dem Häuschen. »Du hast ihn getroffen? Wahnsinn, das ist ja ein verrückter Zufall!«
»So verrückt scheint es nicht zu sein. Angeblich liegt es an deinen Ausführungen über meinen Beruf, dass ein Vertreter meiner Abteilung nach Island eingeladen wurde.«
»Ich hab ihm halt erzählt, was du beruflich machst,
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