Götterfall
das hat ihn interessiert. Aber sag mal, Wencke, ist er nicht ein Prachtexemplar von Mann?«
»Wie habt ihr euch kennengelernt?«
»Auf meiner Vernissage letzten August. Er hat sich für meine Gemälde interessiert. Er fand, mein Pinselstrich erinnere an Casparo Giuliani!«
Wencke hatte nicht die geringste Ahnung, wer dieser Casparo Giuliani sein sollte, und irgendwie passte bei dieser romantischen Kennenlerngeschichte rein gar nichts zusammen. Am wenigsten die beiden Protagonisten. »Hat er dich über mich ausgefragt?«
Isa klang leicht genervt. »Als ob wir dazu gekommen wären …«
»Er wusste von meiner persönlichen Situation, dass ich alleinerziehend und mit meiner Beziehung unzufrieden bin. Hast du ihm das während des Vorspiels erzählt oder bei der Zigarette danach?«
»Warum bist du so gehässig?«
»Könnte in den Genen liegen!« Wencke hörte, dass jemand die Toilettenräume betrat, und senkte die Stimme. Musste ja nicht jeder mitbekommen, dass sie gerade mit ihrer Mutter über deren Liebesleben stritt. »Nein, Isa, jetzt mal im Ernst: Einige Dinge hier sind seltsam und ich frage mich, ob es nicht vielmehr so war, dass Jarle Yngvisson den Kontakt zu dir gesucht hat, um etwas über mich zu erfahren.«
»So ein Quatsch!« Klar, jetzt war sie eingeschnappt.
»Hat er mit dir auch über meine Ausbildungszeit an der Polizeischule gesprochen?«
»Was hätte ich ihm da groß erzählen sollen?«
Da hatte ihre Mutter recht. Wenckes Entscheidung, kein Künstlerleben zu führen, sondern zur Polizei zu gehen, hatte damals für einen heftigen Familienkrach gesorgt, der mindestensfünf Jahre Funkstille nach sich gezogen hatte. In diese Zeit fiel auch der Aufenthalt in Bad Iburg. »Kannst du dich daran erinnern, dass ich damals eine Kinderleiche gefunden habe?«
»Wie du weißt, will ich von grausamen Details verschont bleiben.« Als Wencke nicht reagierte, ließ Isa sich doch darauf ein, einen Moment nachzudenken. »Okay, ja, da war mal was. Als wir zusammen in Paris waren.«
Isa und Jarle zusammen in Paris? Das wurde ja immer besser.
»Ich habe Jarle erzählt, dass wir … du weißt, dass wir so unsere Probleme miteinander haben. Da hat er mich gefragt, wie es dir ging, als diese Sache mit dem Politikersohn passiert ist. Darauf spielst du doch an, oder?«
»Ja, das meine ich. Was hast du geantwortet?«
»Dass ich glaube, dass du dieses Trauma nie wirklich aufgearbeitet hast.«
Wencke war baff. Wie hatte ihre Mutter das denn mitbekommen?
»Dein Bruder hat mir damals erzählt, dass du dich seltsam verhältst, auch weil wohl deine Freundin wenig später so schwer krank wurde. Zu ihm hatten wir ja beide immer Kontakt, na ja, und manchmal habe ich ihn eben auch nach dir gefragt.« Sie atmete einmal lautstark in den Hörer. »Herrgott, du bist ja immerhin meine Tochter!«
Nebenan plätscherte es, und nur die Anwesenheit dieser anonymen Toilettennachbarin verhinderte, dass Wencke aus der Haut fuhr und ihrer Mutter hier und jetzt, zwischen vierlagigem Luxusklopapier und der goldenen Box für Hygieneartikel, eine Standpauke hielt, weil die ihre Zuneigung immer nur als stille Post verschickte. »Okay, ich verstehe. Jarle hat gefragt, wie es mir nach dem Mordfall ging. Du hast geantwortet, ich sei da im Grunde noch nicht drüber weg. Und dann?«
»Dann haben wir eine fantastische Ausstellung in Montmartre besucht, ein Performance-Steinmetz aus …«
»Ich meine, was hat Jarle noch dazu gesagt?«
»Nichts, du warst nicht gerade Gesprächsthema Nummer eins, wenn du das meinst.«
»Mama, jetzt hör doch bitte mal auf!«
Nebenan wurde die Spülung gezogen und gleichzeitig das Schloss entriegelt. Dann klopfte es an ihrer Tür. »Wencke, bist du da drin?« Das war Silvies Stimme, streng und auffordernd. Und obwohl sie früher einmal für sechs Monate ein Badezimmer geteilt hatten, erschien es Wencke furchtbar unpassend, dieser Frau, die ihr die letzten vierundzwanzig Stunden erfolgreich ausgewichen war, ausgerechnet auf dem stillen Örtchen zu begegnen.
Isa plauderte penetrant in den Hörer, Wencke hatte vor Schreck ganz vergessen, richtig zuzuhören. »Was hast du gesagt, Mama?«
»Tu doch nicht so, als würde es dich nicht interessieren. Axel hat heute Nachmittag angerufen: Das Baby ist da. Ein Junge, Namen habe ich vergessen, irgendwas um die drei Kilo, und wie heißt es so schön: Mutter und Kind wohlauf!«
»Danke für die Info«, brachte Wencke gerade noch zustande. »Und Küsschen an Emil, ich muss
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