Götterfluch 2 - Die dunkle Priesterin
iebling, der Hund der Gottesdienerin, wollte gestreichelt werden. Sofort biss ihn Zauberkünstler, der kleine grüne Affe, in den Schwanz, und ein wildes Spiel begann. Diese beiden treuen Gefährten waren die ganze Freude der hohen Priesterin. Weil sie sich ganz dem Kult des Amun, ihres göttlichen Gemahls, hingegeben hatte, hatte sie keine Kinder. Ihre symbolische Ehe sollte das ewige Fortbestehen der Schöpfung gewährleisten und das Chaos abwenden. Als irdische Vertreterin des ursprünglich weiblichen Prinzips und als Mutter aller Lebewesen hatte die Gottesdienerin Amuns Geheimnis bei seiner Krönung geteilt, und ihre Vereinigung unterlag, dank der täglichen Ausübung der Rituale, keiner Veränderung.
Als ›Freundin der Liebe‹, ›Herrin der Anmut‹, ›Die Einflussreiche‹ und ›Herrscherin über alle Frauen‹ beherrschte die Gottesdienerin das Weltall und die ganze Erde. Sie erfüllte die Hallen der Tempel mit ihrem Rosenduft, hatte eine bezaubernde Stimme und spielte Himmelsmusik.
Wie jeden Morgen wurde sie gereinigt und in ein langes Gewand gekleidet, das mit einem Gürtel geschlossen wurde. Ein Priester legte ein rotes Band um ihre Stirn, das hinten ein Knoten zusammenhielt, und dessen Enden ihr über die Schultern hingen.
Trotz ihres hohen Alters erfreute sich die Gottesdienerin bester Gesundheit und hatte noch immer ungeahnte Kräfte. Durch den vertrauten Umgang mit den Gottheiten waren die Jahre scheinbar spurlos an ihr vorübergegangen, die Priesterin war so majestätisch und schön wie eh und je. Und da sie deshalb keine Sehnsucht nach der Jugend verspürte, war sie Amun sehr dankbar für all das Glück, das er ihr geschenkt hatte.
»Haben wir keine ungebetenen Gäste?«, fragte sie den Oberritualisten.
»Majestät, der Tempel ist abgeriegelt.«
Die Gottesdienerin begab sich nun zum Akh-menu , dem Festsaal, den Thutmosis III. erbaut hatte, und der für die Einweihung der Hohepriester von Karnak bestimmt war. Hier waren ihr die großen Geheimnisse über den Tod, die Auferstehung und die Lichtwerdung offenbart worden.
Vor einer Statue, die den großen Weisen Amenhotep, den Sohn des Hapu, in hockender Haltung zeigte, wie er einen Papyrus las, den er auf den Knien hielt, blieb sie stehen. Irgendwie war sie von einem übernatürlichen Leben beseelt, der Granit war nach wie vor fleckenlos. Zu diesem Zweck übergoss ihn die Gottesdienerin mit Wasser aus dem heiligen See – dem irdischen Spiegelbild des Urmeeres.
Dann reichte ihr ein Priester eine Fackel und wies ihr den Weg zu einem Kohlebecken. Ein zweiter Ritualist gab ihr einen Spieß, an dessen Ende die Wachsabbildung eines Aufrührers steckte – mit abgehacktem Kopf, die Hände auf dem Rücken gefesselt.
Die Gottesdienerin warf die Figur ins Feuer.
Es knisterte und knackte und klang beinahe wie das Wehgeschrei eines Gefolterten.
Als der Feind verbrannt war, spannte sie seinen Bogen und tat so, als würde sie einen Pfeil in jede Himmelsrichtung schießen. Mit diesem Ritual wurden die Mächte des Bösen gebrochen und daran gehindert, den Himmel und den Glanz der Götter zu verdunkeln.
Endlich war der Weg frei für die, die sie schon so lange erwartete. Nachdem sie eine Reihe von Hindernissen überwunden hatten, waren sie jetzt in Theben eingetroffen. Doch noch hatten sie nicht alle Gefahren überstanden, und es war noch nicht gewiss, ob ihr Auftrag gelingen würde.
Die Flamme erlosch.
Langsam ging die Gottesdienerin zu den beiden Kapellen für Osiris, die sie an dem Weg hatte erbauen lassen, der zum Ptah-Tempel führte. Sie bog in eine kleine gepflasterte Straße und betrat eine der Kapellen, die Osiris, dem ›Herrn über die Nahrungsmittel‹, gewidmet war.
Der Gott nahm an dem Fest zur Wiedergeburt der königlichen Seele teil und versorgte sie mit geistiger und irdischer Nahrung. Deshalb konnte man dort ein Bild von Pharao Amasis sehen, gefolgt von dessen Ka, seiner schöpferischen Kraft. Schließlich betrat sie die Pavillons, die für diese Zeremonie aufgestellt worden waren. Der König bot Amun-Re, der von Maat begleitet wurde, Wein an, und die Gottesdienerin empfing aus den Händen des Gottes die Sistren, die mit ihren Schwingungen die bösen Kräfte vertrieben. Feuer speiende Schlangen verbargen dieses Mysterium vor den Augen der Weltlichen, die schreckliche, mit Messern bewaffnete Wächter mit Krokodil- oder Adlerköpfen zerschlugen.
Im Inneren des Heiligtums vollzog sich die Krönung von Osiris nach den Ritualen von
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