Götterfluch 2 - Die dunkle Priesterin
Menschen zu stehen. Entfernten sich die beiden zu weit voneinander, wurde die Erde unbewohnbar.
Richter Gem empfangen zu müssen, war ihm lästig. Da der höchste Richter Ägyptens aber hartnäckig auf diesem Gespräch bestanden hatte, musste der Hohepriester doch einwilligen, um nicht Pharao Amasis' Unmut gegenüber Hermopolis hervorzurufen.
»Ich danke Euch, dass Ihr mich empfangen habt, Hohepriester«, sagte der Richter, der vom langen Warten gereizt war.
»Ich bin leider sehr sparsam eingerichtet. Kommt Ihr mit diesem dreibeinigen Hocker zurecht?«
»Unbedingt.«
»Welcher gute Wind führt Euch zu mir, Richter Gem?«
»Der Pharao hat mir alle Vollmachten erteilt, einen Mörder der schlimmsten Sorte, den Schreiber Kel, festzunehmen oder töten zu lassen. Er ist der Kopf von einem Haufen gefährlicher Verschwörer, zu denen auch eine Neith-Priesterin mit Namen Nitis und ein Schauspieler namens Bebon gehören. Er hat hier bei den heiligen Aufführungen auf dem Tempelvorplatz schon oft gespielt.«
»Bebon, ja, den kenne ich … Ein hervorragender Schauspieler, vielleicht ein bisschen wunderlich, aber sehr beliebt.«
»Ich muss mich wohl wiederholen, Hohepriester, er ist hier als Helfershelfer eines erbarmungslosen Verbrechers, der zahlloser Morde beschuldigt wird.«
»Warum sollte dieser Schreiber denn solche schrecklichen Taten begangen haben?«
»Das ist streng geheim.«
»Aha … Er hat also das Missfallen des Königs erregt.«
Der Richter musste sich beherrschen, um ruhig zu bleiben.
»So dürft Ihr nicht denken, Hohepriester. Unser Land wird bedroht, deshalb müssen wir eingreifen und verhindern, dass eine Horde Aufständischer den Thron stürzt.«
»Ist der Pharao denn nicht der erste Diener Maats? Als Tempelerbauer schenkt er den Göttern ihre irdische Bleibe und sichert sich mit dieser Gabe ihr Wohlwollen. Muss es deshalb nicht ein schwerer Fehler sein, sich an den Tempeln zu vergreifen und sie wie weltliche Bereiche zu behandeln? Sagt dem Herrscher, dass die Achtung vor der Überlieferung den Einklang bewahrt, und dass die zügellose Bewunderung des Fortschritts ins Verderben führt.«
»Hohepriester, ich bin nicht hier, um ein Denken und Handeln zu erörtern, für das ich nicht verantwortlich bin.«
»Trotzdem wendet Ihr es an, denn das Gesetz der Tempel hat keine Gültigkeit mehr.«
Jetzt bebte Gem vor Zorn.
»Im gegenwärtigen Augenblick zählt nur eine einzige Frage: Verbergen sich der Mörder und seine Helfershelfer in diesem Tempel?«
Der greise Mann dachte lange nach.
»Zunächst einmal müsstet Ihr mir unwiderlegbare Beweise für deren Schuld erbringen; ich kenne Bebon und kann mir kaum vorstellen, dass er an einer verbrecherischen Verschwörung gegen den Herrscher beteiligt sein soll. Im Übrigen habe ich keinen Überblick, wer alles im Tempel ein- und ausgeht. Ich verlasse mein kleines Haus nur noch selten und muss den Berichten meiner Untergebenen vertrauen. In meinem Alter ist man schon so nahe am Schönen Westen und beschäftigt sich immer weniger mit den weltlichen Schwierigkeiten; man versucht stattdessen, die Worte der Götter zu hören.«
»Wer überwacht denn die Angestellten?«
»Rund zwanzig Verwalter und Priester.«
»Ich möchte ihre Namen sehen.«
»Wie Ihr wünscht. Aber geht behutsam vor, man wird mit dieser Maßnahme nicht einverstanden sein.«
»Ein klarer Befehl von Euch würde mir die Arbeit sehr erleichtern.«
»Nachdem ich Euer Vorgehen nicht billige, kann ich diesen Befehl auch nicht erteilen. Gebt dem König den Rat, die wirtschaftliche und rechtliche Unabhängigkeit der Tempel wiederherzustellen. Indem er sie gewaltsam dem weltlichen Recht unterwirft und eine verheerende Gleichmacherei anordnet, beschwört er den Zorn der Götter. Ich muss mich jetzt ausruhen. Ich wünsche Euch eine gute Heimreise nach Sais, Richter Gem.«
Diesem gebieterischen, eigensinnigen und hochverehrten Greis gegenüber fühlte sich der Richter hilflos. Würde er im Tempel die erforderlichen Unterlagen einfordern, bliebe dieses Unterfangen vermutlich wirkungslos. Abwesenheit der zuständigen Angestellten, fehlende Ordnung, unerklärliches Verschwinden bestimmter Papyrusrollen … Sicher kam man auf Hunderte von Ausreden, um seine Untersuchung zu vereiteln.
Amasis hatte die Macht der Tempel nur scheinbar gebrochen, und ihre Unterwerfung war nur gespielt. Da sie aber ab sofort gezwungen waren, hohe Steuern zu zahlen, fälschten sie wahrscheinlich ihre Erklärungen und
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