Götterfluch 2 - Die dunkle Priesterin
als Bezahlung?«
Der Karawanenführer riss die Augen auf.
»Ich denke schon. Wir brechen gleich nach dem Frühstück auf. Ihr geht mit Eurem Esel ganz hinten, direkt vor dem Schlussmann.«
»Einverstanden.«
Kel und Nitis setzten sich etwas abseits; man brachte ihnen mit Bohnen gefüllte Fladen und Salat.
»Ob Bebon genug Zeit hat, rechtzeitig hierherzukommen?«, fragte der Schreiber besorgt.
»Wenn nicht, holt er uns bestimmt unterwegs ein«, versprach ihm Nitis.
Bebon wechselte schon seit Stunden von einem Versteck zum nächsten, um den Soldaten zu entkommen. Richter Gem hatte angeordnet, dass die gesamte Stadt Lykopolis durchsucht wurde, nicht einmal der Tempel blieb davon verschont. Als es Nacht wurde, ging keiner mehr Streife, und der Schauspieler konnte endlich in die Oase laufen, wo die Karawanen Rast hielten.
Aber dort war alles verlassen.
Nur ein alter Mann lehnte an einem Brunnen und kaute Zwiebeln.
»Ist heute eine Karawane aufgebrochen?«, fragte ihn Bebon.
»Ja, Richtung Koptos.«
»Hast du vielleicht ein junges Paar und einen Esel bei ihnen gesehen?«
Der Alte grinste breit.
»Ein verdammt hübsches Mädchen! An ihrer Stelle wär ich nicht mit der Karawane mitgegangen. Hassad ist ein mieser Kerl. Und er hasst Frauen.«
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E indrucksvoll – wirklich sehr eindrucksvoll.
Sais war eine schöne Stadt, aber dem Vergleich mit Theben, der ›Mächtigen‹, der heiligen Stadt des Gottes Amon, konnte sie nicht standhalten.
Mit dieser Pracht hatte Henat nicht gerechnet.
Während seiner langen Reise war er vielen Menschen begegnet, die ihm auf seine Bitte hin von der Stimmung in der Bevölkerung und in den Tempeln berichtet hatten. Weil Amasis' Neuerungen mit Gewalt eingeführt worden waren, hatte man sie nicht wirklich angenommen. Jeder schätzte zwar das neue Gefühl von Sicherheit; aber die Allgegenwart der griechischen Söldner, die Einführung der Einkommenssteuer und die Unterdrückung der althergebrachten Sonderrechte der Tempel trafen auf Widerstand.
Glücklicherweise bewahrte wenigstens die Gottesdienerin die alten Werte und wehrte sich gegen deren Verfall, indem sie die Rituale zum Erhalt der göttlichen Gegenwart feierte.
Und Theben war schließlich nicht irgendein Städtchen, das weit von der Hauptstadt vor sich hin träumte. Amuns stattliches Reich thronte inmitten der wohlhabendsten Provinz von Ägypten. Vom Bug seines Schiffes aus konnte Henat die weiträumigen Anbauflächen beiderseits des Nils betrachten. Die Thebaner hatten Obst und Gemüse im Überfluss, überall grasten zahlreiche Rinderherden auf üppigen Weiden, und die Fischer kamen nie mit leeren Händen heim.
Schmucke kleine Dörfer im Schatten von Palmenhainen, solide Deiche, alle Wasserauffangbecken in ausgezeichnetem Zustand, Bewässerungskanäle für die Felder, Hunderte von Eseln, die Lebensmittel in die Stadt und zu den Tempeln trugen … Die Verwaltung dieser Provinz war beeindruckend.
Ganz offensichtlich dämmerte die Gottesdienerin nicht in irgendwelchen mystischen Welten, fern von der Wirklichkeit des Alltags und den wirtschaftlichen Erfordernissen, vor sich hin. Und Theben war wohl tatsächlich so reich, wie man sich immer erzählte.
Als er sich Karnak näherte, dem Tempel aller Tempel, glaubte Henat seinen Augen nicht zu trauen.
Von der Anlegestelle aus erblickte er eine Vielzahl mächtiger Bauwerke, deren Dächer die Ziegelmauern überragten, und Obelisken, die bis in den Himmel reichten. Hier waren die Pharaonen Sesostris, Mentuhotep, Amenhotep I., die Thutmosis, Sethos I. und Ramses III. am Werk gewesen. Und jeder dieser Pharaonen hatte das Reich Amuns noch schöner gemacht – des Gottes der Siege, der die Stärke und Macht der Zwei Länder gewährleistete.
Die Gottesdienerin war Erbin und Hüterin dieses sagenhaften Schatzes. An dem Tag, an dem sie ihr Amt angetreten hatte, hatte sie ein Ritualist aus ihrer Morgenwohnung geholt, in der sie gereinigt worden war. Neun reine Priester hatten ihr dann Kleider, Schmuck und Amulette angelegt, an denen man die Würde ihres Amts erkannte, und der Schreiber des göttlichen Buchs enthüllte ihr dessen Geheimnisse. Zur obersten Herrin über das gesamte Himmelsrund erklärt, durch das die Sonnenscheibe kreist, wachte sie von da an über das Auskommen aller Lebewesen. Wie sonst nur die Pharaonen erhielt auch die Gottesdienerin Krönungsnamen, die innen in eine Kartusche geschrieben wurden, und durfte Rituale vollziehen, die bis dahin den Königen vorbehalten
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