Götterfluch 2 - Die dunkle Priesterin
waren.
Erst beim Anblick von Karnak wurde Henat die wahre Macht der Gottesdienerin bewusst. An der Spitze dieses gewaltigen heiligen Reichs verfügte die alte Priesterin, als Herrin über Tausende von Bauern und Handwerkern, über ein strahlendes Ansehen und beträchtliche Macht. Wie viele Provinzfürsten würden sich ihr wohl anschließen, wenn sie eine Trennung beschließen und den Machtanspruch von Amasis nicht mehr anerkennen würde?
Darauf deutete zwar nichts hin, und Henats Kundschafter hatten ihm auch keinerlei Gelüste nach Widerstand aus der thebanischen Verwaltung gemeldet. Fragte sich nur, ob er sich auf diese Berichte verlassen konnte? Die Gottesdienerinnen bildeten eine Art Dynastie, die aber rein religiös, auf die Provinz Theben und den Amun-Tempel beschränkt und dem herrschenden Pharao treu ergeben war. Und bis zum heutigen Tag hatten sich alle mit dieser Rolle beschieden.
Das war sehr beruhigend. Oder vielleicht auch zu beruhigend.
Henats Schiff legte an, und er konnte den Blick nicht von Karnak wenden, wo ganz offensichtlich eine beeindruckende Menge göttlicher Kräfte versammelt war. Unter dem Schutz von Amun waren hier sämtliche Gottheiten des Himmels und der Erde zu Hause; und hinter der Tempelmauer hatten Zeitweilige und Weltliche nichts verloren. Wie fern diese Welt von der des Nil-Deltas zu sein schien, und erst recht von der griechischen Stadt Naukratis! Der Vergangenheit und den alten Werten zugewandt, sperrte sich Karnak gegen Zukunft und Fortschritt.
Henat rechnete mit dem Anblick vergangenen Ruhmes, Gebäuden, an denen der Zahn der Zeit genagt hatte, und der überkommenen Bewahrung lächerlich gewordener Bräuche.
Da hatte er sich aber gründlich geirrt.
Vor seinen Augen tauchte ein riesengroßes magisches Schiff in hervorragendem Zustand auf.
Henat konnte es kaum erwarten, mehr darüber zu erfahren und die betagte Ritualistin kennen zu lernen, die an der Spitze seiner Mannschaft stand. Hatten ihr die Jahre wirklich zugesetzt, litt sie unter ihrer Last, oder hatte sie sich noch immer diese Kraft bewahrt, die der der Tausende von Jahren alten Steinen glich und sich von den Ritualen nährte?
Sollte Letzteres der Fall sein, dürfte es eine äußerst schwierige Auseinandersetzung werden.
Dennoch war es unbedingt notwendig, dass sich die Gottesdienerin dem Pharao unterwarf und seinen Befehlen gehorchte. Andernfalls strebte Henat in Übereinstimmung mit Amasis eine radikale Lösung an.
Wenn er Glück hatte, würde ein einziges Gespräch genügen. Henat wollte seinem weithin bekannten Gegenüber die Lage schildern, die Gottesdienerin mit den notwendigen Auskünften versorgen und ihr mitteilen, was sie zu tun hatte. Auf gar keinen Fall durfte sie den Schreiber Kel und seine Gefährten empfangen. Und falls diese wider Erwarten doch bis Theben durchkommen sollten, würden sie festgenommen und nach Sais zurückgebracht werden.
Ein Priester mit kahl rasiertem Schädel bat um die Erlaubnis, an Bord zu kommen.
»Willkommen in Karnak. Darf ich fragen, wie Ihr heißt, welchen Beruf Ihr habt und was Euch zu uns führt?«
»Ich bin Henat, der oberste Verwalter des Königspalasts von Sais, und besonderer Gesandter von Pharao Amasis. Habt Ihr denn nicht das amtliche Schreiben erhalten, in dem mein Besuch angekündigt wird?«
»Bitte entschuldigt, aber ich bin nur für den Schiffsverkehr auf dem Kanal zuständig, der zum Tempel führt. Wegen der bevorstehenden Flut müssen wir entsprechende Maßnahmen ergreifen.«
»Bringt mich zu meiner Gastwohnung.«
Der Priester wirkte äußerst verlegen.
»Wie ich bereits sagte, kümmere ich mich nur um die Schiffe und …«
»Habt Ihr nicht gehört, wer ich bin und welches Amt ich habe?«
»Es tut mir wirklich sehr leid, aber meine Zuständigkeit ist streng begrenzt.«
»Dann geht und holt einen Vorgesetzten!«
Der Priester dachte lange nach, dann sagte er: »Den Gefallen würde ich Euch sehr gern tun, aber erst, wenn mein Dienst beendet ist, sonst werde ich hart bestraft.«
Mit einer Handbewegung entließ Henat den unmöglichen Mann.
Das amtliche Schreiben soll verloren gegangen sein … Undenkbar! Man hatte sich über ihn lustig gemacht. Er verließ seine Kabine, eilte über den Landesteg und lief zwei Männern in die Arme, die mit Schwertern und Knüppeln bewaffnet waren.
»Ihr habt nicht die Erlaubnis, Euer Schiff zu verlassen«, sagte einer der beiden. »Wir haben noch nicht alle erforderlichen Auskünfte über Euch eingeholt.«
»Ich
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