Götterschild
wenig mit anpacken.«
»Vielleicht hättest du dich lieber vorher waschen sollen«, bemerkte der Hauptmann mit einem kritischen Blick, »du siehst aus wie ein geschlachtetes Schwein. Sei’s drum, wenn du arbeiten kannst, kannst du auch kämpfen. Also mach dich sauber und melde dich dann auf dem Schiff unseres Herrn.«
»Zu Befehl«, antwortete Targ, watete ins Wasser der Bucht hinein und begann damit, sich das Blut abzuwaschen.
War ihm die Entscheidung, was er tun sollte, gerade abgenommen worden? Blieb ihm jetzt überhaupt noch eine Wahl? Die gefangenen Istanoit waren bereits auf eines der Schiffe verladen worden, die mit Sicherheit nicht Megas zur Charamra-Bucht folgten, sondern erst nach Seewaith und dann zurück in ihren Heimathafen Lechia segeln würden. Wie sollte er ihnen jetzt noch helfen? Tat er dagegen, was der Hauptmann ihm aufgetragen hatte, könnte er sowohl seinen Schwertschwestern beistehen als auch seine Rache vollenden. Das waren zwei ausgezeichnete Gründe, um den Befehlen zu folgen. Niemand könnte ihm einen Vorwurf machen.
Niemand – außer vielleicht Eringar, wenn sie sich dereinst in Xelos’ Hallen wieder begegneten. Und wie sollte er Tarana erklären, dass er Kinder ihres Stammes wissentlich in den sicheren Tod hatte gehen lassen, um seine Schwertschwestern zu beschützen? Weder Tarana noch Daia würde das verstehen, seine Brüder und die anderen Ecorimkämpfer wahrscheinlich ebenso wenig. Da wusste er endlich, wie er sich entscheiden musste. Aber die Gewissheit, dass Megas erneut entkommen würde, brachte sein Blut zum Kochen. Der Mörder seiner Brüder erschien ihm immer mehr wie ein heimtückischer Dämon, der die wertvollsten Dinge in Targs Leben der Reihe nach ungestraft zerstörte und sich dann ein grausames Spiel daraus machte, stets einen Schritt außerhalb von Targs Reichweite zu bleiben.
Voller Zorn packte er das Messer, welches unter seinem Hemd steckte. In einer raschen Bewegung führte er die scharfe Klinge zum Kopf, fuhr damit unter den Verband und zog die Schneide beginnend an der rechten Augenbraue über seine Stirn. Ein greller Schmerz zuckte durch seinen Kopf und augenblicklich begann Blut über sein Gesicht zu laufen. Er ließ das Messer sofort wieder unter seinem Gewand verschwinden, damit niemand bemerkte, was er getan hatte. Dann drehte er sich um und wankte mit der Hand auf die selbst beigebrachte Wunde gepresst zum Hauptmann zurück.
»Es hat beim Waschen wieder angefangen zu bluten«, stöhnte er und machte einen taumelnden Schritt zur Seite.
»Das sieht übel aus«, meinte der Hauptmann naserümpfend nach einem flüchtigen Blick auf Targ. »Leg dich gefälligst wieder zu den Verwundeten, bevor du mir hier vor den Füßen krepierst.«
Targ nickte gequält und schleppte sich absichtlich langsam zurück zu der Stelle, wo die Verletzten lagen. Er hatte es geschafft, den Lanzerhauptmann zu überzeugen. Dennoch fühlte er sich, als hätte er gegen Megas eine Niederlage erlitten – wieder einmal.
Als Selira an diesem Morgen erwachte, stand die Sonne bereits eine Handbreit über dem Horizont. Ihr Rücken schmerzte entsetzlich von dem unbequemen Liegen auf dem kantigen Geröll und in der zugigen Kluft war es auch entschieden zu kalt für eine erholsame Nachtruhe. Sie streckte ihre verspannten Gliedmaßen und gähnte verstohlen, ohne dabei den Mund zu öffnen. Diese Gewohnheit stammte noch aus der Zeit in den Feuerhöhlen, denn man hatte ihr damals erzählt, die Geister der Unterwelt könnten in ihren Körper fahren, wenn sie den Mund beim Gähnen zu weit aufriss. Wahrscheinlich handelte es sich dabei nur um ein dummes Kindermärchen, aber die Angewohnheit war geblieben.
Verschlafen sah sie sich um. Neben ihr lag Rai immer noch auf der Bahre, die sie für ihn gebaut hatten. Er atmete ruhig und regelmäßig. Sie betrachtete ihn eine Weile nachdenklich, wie er da so vollkommen friedlich vor ihr schlummerte, und das erste Mal wurde ihr bewusst, dass ihr der drahtige Tileter mit seiner dunklen, immer ein wenig zerzausten Haarmähne, seinen ebenmäßigen Zügen und der sonnengebräunten Haut ausnehmend gut gefiel. Da merkte sie auf einmal, dass etwas nicht stimmte, und blickte sich suchend um. Sie war mit Rai allein. Belena ließ sich nirgendwo entdecken.
Verwünschungen ausstoßend kroch sie zum Rand des Felsens, hinter dem sie Schutz gesucht hatten, und spähte auf die Festung hinunter. Der ganze Komplex wirkte vollkommen ausgestorben, offenbar war Megas mit
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