Götterschild
Sie waren die Glücklichen, die den größten Ruhm ernten durften, indem sie den Drachen in seinem Bau stellen würden.
Arden ließ seinen Blick schweifen. Verteilt auf beinahe die gesamte weite Eisebene, die sich zu seinen Füßen erstreckte, standen in nicht enden wollenden Reihen seine Kämpfer, die allesamt darauf brannten, als Verstärkung ebenfalls hinauf zur Drachenhöhle gerufen zu werden. Ein jeder von ihnen beneidete die wenigen, denen die Ehre zuteil wurde, sich an diesem ersten Angriff beteiligen zu dürfen, dessen war sich Arden sicher. Doch aller Augen würden auf ihm ruhen, wenn er gleich als Erster die dunkle Zuflucht des Bösen betrat.
Er hob sein Schwert und eine Welle der Zuversicht und Kraft strömte über die Männer am Höhleneingang hinweg. »Für die Götter, für Citheon, für uns alle!«, rief Arden. Ihr schuppiger Widersacher sollte ihn jetzt ruhig hören. Er drehte sich wieder zu dem Felsenspalt um und widerstand dem Drang, einfach loszustürmen. Trotz aller Euphorie, die ihn erfasst hatte, wollte er nicht unvorsichtig werden. Er wusste, dass sie auf einen machtvollen Gegner treffen würden, davon zeugte schon allein die Größe des Eingangs.
»Entzündet die Fackeln!«, befahl Arden. Mit wenigen Handgriffen wurden die mitgebrachten Pechfackeln in Brand gesetzt und auf der Vorderseite der lückenlos mit feuchten Fellen bespannten Setzschilde in dafür vorgesehene Halterungen gesteckt. Auf diese Weise fiel das abgestrahlte Licht nur nach vorn und konnte die nachfolgenden Ballistaschützen und Gardisten weder blenden noch ihre genaue Anzahl enthüllen, wenn sie erst einmal ins Dunkel der Höhle eingetaucht waren.
»Vorwärts!«, kommandierte Arden und betrat als Erster den Drachenhort. Seine Männer folgten ohne Zögern.
Schon nachdem sie ein paar Schritte in die Finsternis vorgedrungen waren, konnte Arden einen übelkeitserregenden Fäulnisgeruch wahrnehmen, der so stark war, dass er durch den Mund zu atmen begann. Unter diesen Verwesungsgestank mischte sich aber noch etwas anderes – ein Geruch nach den scharfen Ausdünstungen eines Wildtieres. Dies ließ sich allerdings an Intensität mit nichts vergleichen, was Arden vorher schon einmal gerochen hatte. Ein kaltes Prickeln lief über seine Haut. Dies war das erste Zeichen dafür, dass sich die große Echse tatsächlich in der Nähe befand. Die Begegnung stand unmittelbar bevor.
Die Höhlenwände wichen mit jedem Schritt, den sie taten, weiter zurück. Das Innere des Drachenhorts wuchs zu wahrhaft titanischen Ausmaßen an. Sie konnten wegen des schwachen Fackellichts nur erahnen, wo die Wände dieses Felsendoms lagen. Wie bereits zuvor vereinbart, blieben in regelmäßigen Abständen einzelne Soldaten zurück, um notfalls über eine Kette von Rufern weitere Truppen von draußen zu Hilfe holen zu können. Denn niemand wusste, wie tief sie in den Berg vordringen mussten, bis sie auf den Drachen stießen.
Plötzlich wurde der Fackelschein von etwas Weißem zurückgeworfen, das sich in unordentlichen Haufen zu beiden Seiten am Höhlenboden türmte. Arden schoss bei diesem Anblick ein hoffnungsvoller Gedanke durch den Kopf. Konnte das bereits der sagenhafte Drachenschatz sein, jene unermesslichen Reichtümer, welche die große Echse seit jeher in ihrem Hort zusammengerafft hatte?
Doch nach ein paar weiteren Schritten verwandelte sich dieser verheißungsvolle Anblick unversehens in ein Bild des Grauens. Das Schimmern rührte nicht von irgendwelchen Schätzen her, sondern, was sie sahen, war der fahle Glanz einer unüberschaubaren Menge abgenagter Knochen. Wie weggeworfener Unrat stapelten sich hier auf dem Boden die sterblichen Überreste unzähliger Lebewesen. Es ließ sich schwer sagen, ob darunter auch menschliche Gebeine waren, aber die Vermutung lag nahe.
Kurzzeitig geriet Ardens Entschlossenheit ins Wanken. Seine Erschütterung übertrug sich augenblicklich auf seine Männer, die seine Empfindungen teilten, als wären es ihre eigenen. Sie blieben stehen. Ihre Ängste begannen wieder emporzukriechen aus der tiefen Vergessenheit, in die sie Ardens alles überdeckende Zuversicht verbannt hatte. Das erste Mal, seit sie den unheilvollen Spalt in der Flanke des Kahlen Haupts erblickt hatten, wurde ihnen die Gefahr bewusst, die irgendwo in der Schwärze vor ihnen lauerte.
Arden versuchte, seinen Willen wieder zu fokussieren. Was hatte er denn erwartet? Auch der Drache musste fressen, schließlich war er sterblich wie sie alle. Er war
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