Götterschild
aufgestellt worden, auf der sich bereits zahlreiche Citpriester in ihren weißschwarzen Gewändern eingefunden hatten. Ganz vorne stand ein äußerst beleibter Kirchendiener in weißer Gewandung, bei dem es sich der Beschreibung des Hafenmeisters nach eindeutig um den Sondergesandten Malun handeln musste. Er befand sich im Gespräch mit einigen Edelleuten, wahrscheinlich den Handelswesiren von Kersilon, die neben einem Käfig voller aufgeregt schnatternder Gänse standen. Sie deuteten auf ein nahes Turmdach, wo sich zu Rais Entsetzen eine ganze Gruppe Flugwölfe zusammengedrängt hatte und sich um den besten Abflugplatz am Dachrand zankten. Wenn sich diese Wesen zu Fuß fortbewegten, sah es beinahe noch unheimlicher aus, als wenn sie flogen, dachte Rai. Sie liefen auf ihren Hinterfüßen und stützten sich gleichzeitig noch auf ihre mantelartig nach vorne gefalteten Flügel, was einen ungelenk staksigen Gang zur Folge hatte, beinahe als benutzten sie Krücken.
Doch so unbeholfen die Säbelschwingen bei dieser Fortbewegungsweise auch wirkten, als nun Malun der Einladung der Wesire nachkam, den Käfig mit den Gänsen zu öffnen, zeigten die Wölfe Kersilons, wozu sie in der Lage waren: Ein halbes Dutzend der schneeweißen Gänse verließ aufgeregt gackernd den Käfig und stieg flatternd von der Tribüne auf. Im gleichen Augenblick stürzten sich alle Säbelschwingen auf einmal vom Dachrand hinab und schossen Flügelspitze an Flügelspitze auf die Vögel zu. Einen Herzschlag später waren die Gänse verschwunden und nur noch ein paar herabtaumelnde Federn kündeten von ihrem Ende in den Fängen der schwarzen Räuber der Lüfte. Malun zollte der Darbietung durch eifriges Kopfnicken und In-die-Hände-Klatschen Respekt. Das Gesehene hatte ihm eindeutig gefallen.
Merklich mehr Zuschauer begannen sich jetzt vor der Tribüne zu sammeln. Rai und seine drei Begleiter wurden von dem Menschenstrom, der nun aus allen Straßen und Gassen zu quellen begann, nach vorne geschoben, bis sie kaum mehr fünfzig Schritt von dem dickleibigen Priester trennten. Meatril und Targ versuchten sich gegen die von hinten schiebenden Massen zu stemmen, um nicht in das Blickfeld des Sondergesandten zu geraten, der sie womöglich aus noch geringerer Entfernung wieder erkennen würde.
Vier Priester mit Standarten, die an der Spitze die goldene, vierstrahlige Sonnenscheibe mit dem sich windenden Schlangenleib darunter zeigten, begleiteten Malun jetzt nach vorne zum äußersten Rand der Tribüne. Mindestens dreißig weitere Citdiener gruppierten sich mit auf der Brust verschränkten Armen hinter ihm, als wären sie eine Art priesterliche Leibwache. Ernst hob der Gesandte des Citarim beide Arme und senkte sie dann langsam wieder, worauf die Zuhörer nach und nach verstummten. Schließlich war es auf dem weiten Platz mit den gut zehntausend Leuten so still, dass man eine zu Boden fallende Münze hätte hören können.
»Cits Licht leuchte allezeit über euch, freie Einwohner von Kersilon«, hob Malun an und seine Stimme reichte bis in die letzten Winkel des großen Marktplatzes. »Eine fantastische Stadt habt ihr euch hier erbaut, reich an beeindruckenden Bauwerken, an Kunst und kulinarischen Genüssen, stark durch seine unvergleichlichen fliegenden Wächter und gesegnet mit umsichtigen, gütigen Führern.« Er wies auf die Edelleute, mit denen er zuvor gesprochen hatte und die nun auf der rechten Tribünenseite in einigen Polstersesseln Platz genommen hatten. Sie erwiderten die Freundlichkeit mit einem wohlwollenden Nicken.
»Mein Aufenthalt in Kersilon hätte dank der Gastfreundschaft, die ich hier erfahren habe, nicht angenehmer sein können. Von der citheonischen Hauptstadt sind es mit dem Schiff bei günstigem Wind nur zwei Tagesreisen bis hierher und dennoch gab es zwischen Kersilon und Tilet bisher bestenfalls einen oberflächlichen Kontakt. Und das, obwohl wir doch an die gleichen Götter glauben, die gleiche Sprache sprechen und auch sonst weit mehr gemeinsam haben, als es sich auf den ersten Blick vermuten ließe. Ich bin gekommen, um diese bislang nur lose Verbindung unserer beiden großartigen Städte zu stärken. Ich bin gekommen, um ein Bündnis zu schmieden, ein unverbrüchliches Band aus göttlichem Stahl.« Er machte eine kurze Pause und begann, am Tribünenrand langsam auf und ab zu schreiten. Dann blieb er abrupt stehen und wandte sich wieder an das gebannt lauschende Publikum:
»Warum, werdet ihr fragen, warum jetzt? Nun, das kann
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