Götterschild
ich euch sagen, auch wenn die Wahrheit so manchen von euch mit Grauen erfüllen wird. Das Böse, das am Anbeginn der Zeiten in den Ostlanden Gestalt angenommen hat, regt sich wieder hoch im Norden. Jenes uralte Übel, das einst die göttlichen Naurain aus dieser Welt vertrieb, brütet über neuem Unheil. Ihr wisst es besser als jeder andere, Menschen von Kersilon, denn eure Vorväter kamen dereinst hierher auf der Flucht vor diesem Schrecken, der die Welt verheerte. Ich spreche von dem Letzten der Drachen, der Saat des Bösen, dem Keim des Untergangs! Er war es, der vor langer Zeit euer Volk im zweiten Drachenkrieg aus ihren angestammten Heimatlanden an den Nordufern des Quasul-Jak vertrieb und sie dazu zwang, sich diese Wüste hier urbar zu machen.«
»Meint der das ernst?«, raunte Rai dem vor ihm stehenden Meatril zu. »Es gibt doch gar keine Drachen, oder?« Es schwang allerdings Beunruhigung in seiner Stimme mit.
Meatril schnaubte ärgerlich. »Dieser Vasall des Citarim lügt doch, wenn er den Mund aufmacht. Aber vielleicht erfahren wir auf diese Weise endlich, was die Citkirche plant.«
Malun ließ sich unterdessen von einem Priester seines Gefolges einen Becher Wasser reichen und die Stirn mit einem Tuch abtupfen. Die Hitze forderte ihren Tribut von dem massigen Kirchenmann.
»Dieser Schrecken der Vergangenheit ist zurückgekehrt«, fuhr der Gesandte nach der kleinen Erfrischung fort, »und er ist jetzt mächtiger denn je. Er regt sich in seinem Hort im Gebirge und macht sich bereit, einmal mehr die Ostlande ins Chaos zu stürzen.« Wieder pausierte Malun, aber offenbar nur, um die Spannung zu steigern.
»Doch diesmal werden wir ihm Einhalt gebieten. Diesmal sind wir stärker, dieses Mal wird das geflügelte Grauen nicht obsiegen. Und dazu brauchen wir euch, ihr freien Einwohner von Kersilon, euch und eure mehr als imposanten Himmelswölfe, die ihren Herren, den mächtigen Wesiren Kersilons und ihren Gefolgsleuten, aufs Wort und in bedingungsloser Treue gehorchen. Mit diesen Kreaturen, die im Himmel zu Hause sind wie der mächtige Cit selbst, werden wir den größten Vorteil des abscheulichen Drachen zunichtemachen, nämlich seine Fähigkeit, sich unseren Angriffen in luftiger Höhe zu entziehen. Eure geflügelten Stadtwächter werden ihn für uns jagen und zur Landung zwingen, wo wir ihn dann mit unserem gewaltigen Heerbann endgültig niederringen und vernichten können.«
Vereinzelte Hochrufe wurden laut, einige klatschten auch, aber es schien, als wolle der Funke noch nicht recht auf die Zuhörer überspringen.
»Was ist denn das für ein Unsinn«, flüsterte Rai, den bei den Worten des Citarimgesandten ein zunehmend mulmiges Gefühl beschlich. »Sie wollen mit diesen Flugwölfen einen Drachen jagen? Das ist doch lächerlich.«
Meatril konnte nur ratlos die Schultern heben, während er weiterhin aufmerksam zuhörte, wie Malun die absonderlichen Pläne der Kirche vor dem Volk von Kersilon ausbreitete.
»Natürlich weiß ich«, fuhr der gewichtige Gesandte des Citarim fort, »dass in den alten Geschichten von der furchterregenden Größe jenes Feindes der Götter berichtet wird, von seinem undurchdringlichen Schuppenpanzer, der jedes noch so spitze Geschoss einfach abprallen lässt, was ihn praktisch unverwundbar macht.« Malun ließ seinen Blick über das Publikum schweifen, bevor er weitersprach. »Eure Herren haben mir in ihrer kleinen Demonstration vorhin bewiesen, wie unglaublich schnell und gewandt eure geflügelten Stadtwächter sein können. Doch das allein wird ihnen gegen den letzten Drachen nicht viel helfen. Es genügt nicht, ihm ausweichen zu können, sie müssen auch in der Lage sein, ihm selbst Schaden zuzufügen.« Der Citdiener winkte, worauf zwei Priester aus seinem Gefolge vorsichtig eine kleine Truhe zu ihm nach vorne brachten. Malun öffnete sorgsam den Deckel, entfernte einen dicken Filz, der schützend obenauflag, und hob schließlich mit beiden Händen ein etwa taubeneigroßes, zusammengeschnürtes Lederbeutelchen aus der Kiste.
»Das Pulver, welches sich in diesem Beutel befindet, ist eines der wenigen Geheimnisse, die von den Naurain überliefert wurden. Über mehr als hundert Generationen haben die Kinder Torions die Kunst bewahrt, diese Substanz aus dem Harz einer ganz speziellen Baumart zu gewinnen und sie zu einer wahrhaft göttlichen Waffe zu verarbeiten.« Er hielt das kleine Lederbündel hoch in die Luft. »Es mag unglaublich erscheinen, aber hier in meiner Hand
Weitere Kostenlose Bücher