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Götterschild

Titel: Götterschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Rothballer
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der messerscharfen Zähne. Doch Resa schien nicht die Absicht zu haben, ihn zu beißen. Sie leckte sich nur eifrig ihre Wunde, ohne sich von der Stelle zu rühren.
    Rai betrachtete nachdenklich den Pfeil in seiner Hand. »Also eines steht fest: Wenn Resa mit einer solchen Verwundung herumfliegt und damit statt zu ihrem Herrn zu uns kommt, dann muss Oibrin etwas zugestoßen sein. Vielleicht ist seine Karawane überfallen worden und er ist verletzt – oder noch Schlimmeres.«
    »Du meinst, Resa hat gezielt nach uns gesucht, um Hilfe zu holen?« Selira zog zweifelnd die Stirn in Falten.
    »Na ja«, erwiderte Rai, »immerhin wusste sie ja, in welche Richtung wir gegangen sind. Bis nach Kersilon hätte sie es wahrscheinlich mit dem Pfeil im Flügel nicht mehr geschafft, also ist sie nach Norden geflogen, um uns zu finden. Aber wie auch immer, entscheidend ist, dass Oibrin sie aus irgendeinem Grund nicht mehr selbst verarzten konnte. Und das bedeutet, er steckt in Schwierigkeiten.«
    »Dann müssen wir ihm helfen«, entschied Selira, »immerhin hat er uns sehr anständig behandelt und ohne ihn wären wir nicht hier. Wenn Resa zu uns gefunden hat, dann kann sie uns bestimmt auch wieder zurück zu Oibrin führen.«
    Rai lächelte. »Ich wollte gerade dasselbe vorschlagen. Wir müssen ihr nur irgendwie begreiflich machen, was wir beabsichtigen.« Er wandte sich wieder an die Flugwölfin, die die beiden unterdessen aufmerksam mit ihren großen gelbschwarzen Augen gemustert hatte.
    »Resa«, forderte Rai sie auf, »bring uns zu deinem Herrn, bring uns zu Sal Oibrin.«
    Die Säbelschwinge verharrte zunächst reglos, während sie Rai unverwandt anstarrte, als überlege sie, ob sie von diesem fremden Menschen überhaupt irgendwelche Befehle annehmen sollte. Dann machte sie unversehens ein paar Hüpfer und erhob sich unter kräftigem Flügelschlagen in die Luft. Sie vermittelte immer noch einen etwas unsicheren Eindruck und drehte erst einmal ein paar Runden über den Baumwipfeln, bis sie sich mit der Funktionsfähigkeit ihrer vom Pfeil befreiten Schwinge zufrieden gab. Dann schraubte sie sich noch einige Meter in die Höhe, beschrieb einen weiten Bogen und stieß dann urplötzlich auf Rai und Selira hinab. Bevor die beiden begriffen, was Resa vorhatte, packte die Flugwölfin Rai mit ihren kräftigen Hinterfüßen an beiden Schultern und trug ihn einfach mit sich davon.
    Der Tileter war zu schockiert, um zu schreien oder einen Befreiungsversuch zu unternehmen. Er hing wie ein nasser Sack unter der Säbelschwinge und beobachtete entsetzt, wie die Bäume am Boden immer kleiner wurden. Er konnte unmöglich abschätzen, wie hoch er gerade flog, aber einen Sturz aus dieser Höhe würde er ohne Frage nicht überleben. Dieser Gedanke brachte wieder Leben in seine erstarrten Gliedmaßen. Er klammerte sich mit den Händen an Resas Beine und brüllte, so laut er es vermochte:
    »Resa, lass mich sofort runter!«
    Als keine Reaktion erfolgte, versuchte er es noch einmal: »Du hast das falsch verstanden! Ich will, dass du mich zu Oibrin führst, nicht dass du mich hinfliegst. Ich bin ein Mensch, ich gehöre auf den Boden! Außerdem hast du Selira vergessen!«
    Die Flugwölfin zeigte sich völlig unbeeindruckt und gewann immer weiter an Höhe. Rai stellte fest, dass das Land von hier oben ganz anders aussah, gar nicht mehr so unwirtlich und weitläufig. Stattdessen ließen sich die verschiedenartigen Landschaftsformen der Wüste erkennen: dürre Buschwälder, von Felsen gesprenkelte Ebenen, kantige Hügelketten und sogar weit im Osten ein grünes Band, das sich entlang eines Flusses aus dem Landesinneren bis zum Meer wand. Bei diesem Anblick vergaß Rai beinahe seine Angst. Fliegen musste etwas Wundervolles sein, wenn man sich dabei auf die Kraft seiner eigenen Schwingen verlassen konnte. Aber als ein flügelloses Bündel von den Klauen einer unberechenbaren Kreatur wie dieser Flugwölfin herabzubaumeln, stellte keine besonders angenehme Erfahrung dar. Wenigstens hatte ihn Resa, als sie ihn vorhin vom Boden aufgegriffen hatte, nicht verletzt, wie es ja laut Sal Oibrin des Öfteren bei solchen Manövern vorkam. Tatsächlich war es ihr gelungen, Rai ganz präzise an den Schultern zu umfassen und dabei ihre langen Zehen bis unter seine Achseln zu schieben. Dadurch konnte sie ihn ganz sicher, und ohne zu viel Druck auf seinen Körper ausüben zu müssen, tragen. Rai bewunderte ein solches Ausmaß an Geschicklichkeit, auch wenn er es nicht sehr

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