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Götterschild

Titel: Götterschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Rothballer
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schätzte, gegen seinen Willen einfach so durch die Luft gezerrt zu werden.
    Obwohl aus dieser Höhe betrachtet der Boden nur ganz langsam unter ihnen vorbeizog, wurde Rai doch zunehmend klar, wie schnell sich Resa fortbewegte. Der trockene Wald, für dessen Durchquerung sie zu Fuß den ganzen Tag benötigt hätten, lag bereits weit hinter ihnen. Rai konnte als undeutliche Linie die Karawanenroute unter sich erkennen. Sie flogen parallel dazu nach Osten auf die Flussauen zu, die Rai zu Beginn ihres Fluges aus der Ferne gesehen hatte. An der Stelle, wo der Fluss ins Meer mündete, schien der Boden merkwürdig rot gefärbt zu sein, umgeben von einem Kranz aus dunkelgrüner Vegetation. Erst als sie noch etwas weiter herangekommen waren, begriff Rai, dass es sich bei dieser rötlichen Fläche um die ziegelgedeckten Hausdächer einer großen Stadt handelte. Das musste Tanduco sein!
    Aus dem roten Meer der einfacheren Behausungen ragten immer wieder größere, leuchtend weiße Gebäude heraus, die vermutlich die Wesire der Stadt beherbergten oder das geweihte Heim einer Gottheit darstellten. Zwar fanden sich hier weit weniger der massiven Turmbauten, die in Kersilon das Bild der Stadt beherrschten, dafür glich eine mehr als zwei Stockwerke hohe Ringmauer wieder aus, was den Häusern Tanducos an Wehrhaftigkeit fehlte. Doch Rais Aufmerksamkeit galt in diesem Moment nicht so sehr der Stadtmauer, sondern mehr den kleinen Gestalten, die sich davor scharten. Außerdem fiel ihm auf, dass an manchen Stellen eine Menge Rauch über den roten Ziegeldächern hing, und solch dichte Schwaden konnten unmöglich nur von den Kochfeuern der Häuser herrühren.
    Dann sah Rai die Feuer. Bereits mehrere Gebäude unmittelbar hinter der Mauer standen in Flammen. Dicker, schwarzer Qualm quoll unter den Dächern hervor und legte über alles im Umkreis einen grauen Schleier. Bei den Gestalten, die Rai vor der Mauer entdeckt hatte, musste es sich um Soldaten handeln. Ihre metallenen Rüstungen glitzerten, wenn das Sonnenlicht darauf fiel. Sie versuchten mithilfe von Leitern, die Befestigungen Tanducos zu überwinden, während sich auf der Stadtmauer eine zunehmende Zahl von ebenso Gerüsteten einfand, die eben dies verhindern wollten. Von Rais Vogelperspektive aus wirkte das Ganze wie das stille Schauspiel einer ameisenhaften Theatertruppe, doch an der Ernsthaftigkeit dieser Auseinandersetzung konnte kein Zweifel bestehen: Tanduco wurde von einem großen Heer angegriffen – das wurde Rai mit einem Schlag klar. Es war wahrlich kein Wunder, dass von dort keine Karawanen mehr in Richtung Kersilon aufbrachen, denn die Stadt schien gänzlich eingeschlossen zu sein.
    Resa flog weiter auf das Kampfgetümmel zu und es gab nichts, was Rai dagegen unternehmen konnte. Dort, wo der ausgedörrte Wüstenboden in die grüne Oasenlandschaft überging, die Fluss und Stadt umgab, hatten die Angreifer ein großes Feldlager errichtet. Rai bemühte sich zu erkennen, welches Wappen die Fahnen trugen, die über den zahlreichen Zelten wehten. Aufgrund der immer noch großen Entfernung musste er dafür die Augen zusammenkneifen, doch als er letztlich das Emblem auf den flatternden Bannern identifizieren konnte, wollte er zunächst nicht glauben, was er sah: Das vierstrahlige Sonnensymbol hing an jedem Fahnenmast des gesamten Heerlagers. Die Armee kämpfte im Zeichen der Citkirche.
    Rai traute seinen Augen kaum. In Kersilon traten die Citpriester als Freunde auf, versuchten, die Bewohner der Stadt durch eindrucksvolle Reden auf ihre Seite zu ziehen, und gleichzeitig wurde bereits die nächstgelegene Stadt durch ihre gewaltige Streitmacht belagert. Offenbar versuchte die Citkirche, alle Metropolen Etecrars unter ihre Kontrolle zu bringen, und schreckte dabei auch vor kriegerischen Mitteln nicht zurück. Rai musste an die Ansprache des Citarimgesandten in Kersilon denken. Nach dem, was der Mann dort von sich gegeben hatte, war es eigentlich keine Überraschung, was Tanduco nun widerfuhr. Alle, die ihm folgen würden, seien auf der Seite des Guten, so hatte sich der Gesandte ausgedrückt. Daraus folgte nach der Logik der Kirche unweigerlich, dass all jene, die sich weigerten, der Kirche zu gehorchen, auf der Seite des Bösen standen, das es zu bekämpfen galt. Und Tanduco lehnte sich, wie Rai von Sal Oibrin erfahren hatte, schon länger gegen den Machtwechsel in Tilet und die Ausweitung des kirchlichen Einflusses auf. Rai wurde gerade Zeuge der schwerwiegenden Konsequenzen,

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