Goettersterben
jetzt kaum noch zu sehen. Etwas an diesem Anblick gefiel Andrej nicht. Er konnte nicht sagen was, aber das Gefühl war zu stark, um es zu ignorieren. Er schüttelte den Gedanken ab. Abu Dun war in der Lage, auf sich selbst aufzupassen.
»Es … es geht um Euren Freund, Señor«, fuhr Bresto fort. Andrej spürte, dass er eine bestimmte Antwort erwartete, zögerte seinerseits einen Moment und drehte sich schließlich zu ihm um, während er zugleich aufstand. Erst dann wurde ihm klar, dass Bresto die Bewegung möglicherweise als Drohung auffassen mochte, denn er wich fast erschrocken zwei weitere Schritte vor ihm zurück und sah noch beunruhigter aus; auch wenn Andrej das noch vor einem Augenblick für ganz und gar unmöglich gehalten hätte.
»Was ist mit ihm?«, fragte er.
Bresto begann unbehaglich von einem Fuß auf den anderen zu treten. Er sah überallhin, nur nicht in Andrejs Gesicht. »Ist er wie … wie Ihr?«, fragte er schließlich. »Weiß?«, fragte Andrej lächelnd. »Nein.«
»Ihr seid … ich meine, vor zwei Tagen in diesem Keller, da … da habe ich gesehen, dass Ihr …«
»Dass ich ein wenig anders bin als du und die meisten anderen, ja«, half ihm Andrej aus, als er endgültig zu stammeln begann. »Das ist wahr. Und Abu Dun ist genauso. Aber du braucht dich nicht vor ihm zu fürchten, so wenig wie vor mir. Wir kümmern uns im Allgemeinen nur um unsere eigenen Angelegenheiten.«
»Er … er ist verletzt«, murmelte Bresto. »Er blutet aus einer Wunde am Hals.«
Und du bist ein ausgezeichneter Beobachter, mein Junge, dachte Andrej. Laut und in bewusst kühlerem Ton sagte er: »Und du solltest dich um deine Geschäfte kümmern.«
»Natürlich!«, sagte Bresto hastig. »Es geht mich nichts an, ich weiß. Es tut mir leid. Ich wollte gewiss nicht unverschämt erscheinen! Es ist nur …« Er begann unbehaglich auf der Stelle zu treten. Noch eine Winzigkeit mehr, dachte Andrej spöttisch, und er würde zu tanzen anfangen.
Doch wirklich komisch wollte ihm diese Vorstellung nicht vorkommen. Etwas stimmte mit Bresto nicht. Andrej musste seine Gedanken nicht lesen, um zu spüren, welches Chaos hinter seiner Stirn tobte. »Was ist los?«, fragte er geradeheraus. »Du willst mir doch etwas sagen. Nur raus mit der Sprache. Ich fresse nur Männer. Keine Kinder.«
Bresto sah jetzt so aus, als kämpfe er gegen die Tränen an. »Die Mannschaft, Señor«, sagte er. »Si e … die Männer reden. Über Euch. Euren Freund und Euch.« Was für eine Überraschung, dachte Andrej. »Und was reden sie so?«, fragte er.
»Sie haben Angst vor Euch«, antwortete Bresto. »Vor allem aber vor Abu Dun. Manche behaupten, er … er wäre kein Mensch. Natürlich ist das Unsinn, das weiß ich sehr wohl«, fügte er noch hastiger und mit einem schrecklich verunglückten Lächeln hinzu. »Aber Seeleute sind nun einmal ein abergläubisches Volk. Die Männer … fürchten Euch. Ich weiß, dass das Unsinn ist, aber es …« Er brach ab, fuhr sich nervös mit dem Handrücken über das Kinn und sah sich schnell und mit fahrigen Blicken in alle Richtungen um, wie um sich zu überzeugen, dass auch tatsächlich niemand in ihrer Nähe war, der sie belauschte.
Andrej tat ganz instinktiv dasselbe und kam zu demselben, verwirrenden Ergebnis wie schon einmal: Bresto und er waren allein. Abgesehen von der beruhigenden Präsenz Abu Duns spürte er die Nähe keines anderen lebenden Wesens in weitem Umkreis … und zugleich war da etwas. Etwas Lauerndes und unvorstellbar Mächtiges, das sich nicht greifen ließ, aber ganz unzweifelhaft da war. Er sah Bresto noch einmal an. »Was genau wollt Ihr mir sagen, Lieutenant?«, fragte er. »Nur zu. Wir sind allein. Niemand hört uns zu. Auch Abu Dun nicht.« Was eine Lüge war, aber das konnte Bresto nicht wissen.
»Es wäre besser, wenn Ihr und Euer Freun d … also wenn Ihr für den Rest der Reise in Eurer Kabine bleiben würdet«, sagte Bresto.
Andrej starrte ihn an.
»Ich weiß, es steht mir nicht zu, Euch darum zu bitten«, sprudelte Bresto hervor, »Aber es wäre besser, auch für Euch, und … und …«
»Ja?«, fragte Andrej.
»Ich muss die Mannschaft irgendwie beruhigen, Señor. Ich habe die Verantwortung für das Schiff, und damit für die Ruhe an Bord.« Und die Verantwortung hast du genauso lange, wie deine sogenannten Männer sie dir zugestehen, dachte Andrej. Er behielt diesen Gedanken für sich, aber er fragte sich, warum Rogers seinem Lieutenant das angetan hatte. Bresto würde an dieser Aufgabe
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