Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Knien auf dem Bett und starrte aus blicklosen Augen ins Leere. Ein aus Bast geflochtener Koffer, der seine besten Tage schon lange hinter sich hatte und vermutlich die gesamte weltliche Habe enthielt, die ihr nach dem Untergang der Ninja noch geblieben war, stand neben ihr auf dem Boden, und jemand hatte sich nicht nur die Mühe gemacht, ihr eine Kanne mit heißem Tee und einen Teller Gebäck zu bringen, sondern hatte dazu auch kostbares Porzellan ausgesucht, das vermutlich aus de Castellos privater Schatzkammer stammte (die wiederum von den spanischen Steuerzahlern gefüllt worden war) und seinen Weg auf die EL CID im Gegensatz zu seinem unglückseligen Besitzer früh genug gefunden hatte. Der Tee war noch heiß und dampfte, aber die Tasse war unbenutzt, und auch das sorgsame Arrangement der Kekse war unversehrt.
    »Besuch?«, murmelte Abu Dun bei diesem Anblick. »Wie erfreulich. Und ich hatte schon Angst, wir wüssten nichts mit unserer Zeit anzufangen. Du weißt, wie schnell Seereisen langweilig werden.«
Andrej war nicht danach, auf Abu Duns Tonfall einzugehen. Stattdessen drehte er sich zu den beiden Unsterblichen um. Es war ihm kaum möglich, sie auseinanderzuhalten. Wie schon unten in der Bilge, als sich Bresto in Loki und zurück verwandelt hatte, boten auch sie seinem suchenden Blick keinen wirklichen Halt. Andrej sah ihre zeitlos alten Gesichter und sah sie doch wieder nicht; es war, als lägen verschiedene Gesichter übereinander, als wären auch die Körper der Unsterblichen nicht wirklich von dieser Welt, sondern etwas nicht Fassbares, das in ständiger, schrecklicher Veränderung begriffen war.
Das einzig Konstante an ihnen war ihre machtvolle Präsenz, die jeden Gedanken an Widerstand im Keim erstickte. »Was soll das?«, herrschte Andrej dennoch einen von ihnen an. »Ich verlange eine Erklärung!« Doch er bekam nur die Tür zu sehen, die vor seiner Nase ins Schloss fiel, nachdem sich die beiden Unsterblichen auf ihre unfassbare Art zurückgezogen hatten. Andrej musste an den schweren Riegel denken, den er vorhin an der Außenseite der Tür entdeckt hatte, und wartete auf das Geräusch, mit dem er vorgelegt wurde, aber es kam nicht. Wozu auch? Die beiden Unsterblichen dort draußen waren nicht auf Schlösser und Riegel angewiesen, um ihn hier gefangen zu halten. »Hast du gehört, mit welchen Namen er die beiden angesprochen hat?« Abu Dun machte eine Kopfbewegung auf die Tür. Er wirkte viel mehr verwirrt als erschrocken oder gar wütend, aber Andrej spürte auch, wie es in ihm brodelte. Er nickte nur.
»Du weißt, was diese Namen bedeuten«, fuhr Abu Dun fort. »Wer sie sind.«
»Ich weiß nicht, wer sie sind«, antwortete Andrej mit Nachdruck. »Ich weiß allenfalls, wer sie zu sein vorgeben: Götter, die über das Wohl und Wehe der Menschheit bestimmen können. Doch wie groß ihre Macht auch immer gewesen sein mag, sind sie doch in Wirklichkeit nicht mehr als Betrüger, Abu Dun. Sie sind kein Stück besser als Loki.« Er drehte sich scheinbar widerwillig vom Fenster weg und nutzte die Gelegenheit, um unauffällig aus dem grausamen Sonnenlicht zu treten. Die Schatten, die mehr und mehr zu seinen Freunden wurden, schmiegten sich wie ein schützender Mantel um ihn. »Was bedeuten schon Namen«, sagte er. »Deine Mutter hat dich auch nicht auf den Namen Vater desTodes getauft, als du geboren wurdest, oder?« »Ich bin überhaupt nicht getauft, Christenhund.« Abu Dun tat, als grolle er.
»Ich weiß«, antwortete Andrej gereizt. »Und deshalb wird deine Seele auch in der Hölle schmoren, Heide.« »Solange ich dort nicht auf Ungläubige wie dich treffe, soll es mir recht sein«, brummte Abu Dun.
»Aber das wirst du«, belehrte ihn Andrej. »Als Aufseher und Wächter.«
Abu Dun setzte zu einer noch patzigeren Antwort an, lachte dann aber nur und trat an ihm vorbei ans Fenster, um schweigend hinauszublicken. Andrej verspürte einen absurden Neid auf den Nubier, als er sah, wie er im hellen Sonnenlicht stand und die Wärme genoss, die über sein Gesicht strich. Hastig verscheuchte er den Gedanken. »Du denkst nicht daran, zurückzuschwimmen, oder?«, fragte er.
Es war als Scherz gemeint, ein ebenso verzweifelter wie sinnloser Versuch, die schreckliche Spannung zu durchbrechen, die plötzlich zwischen ihnen lag, aber es gelang ihm nicht. Abu Dun drehte sich langsam zu ihm um und sah ihn an, als denke er doch ernsthaft über diesen Vorschlag nach.
»Es ist ziemlich weit bis zur spanischen Küste«,

Weitere Kostenlose Bücher