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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nach Verwesung. Ari hatte im Moment seines Todes die Kontrolle über seinen Körper verloren, was Andrej schmerzlich traf, denn es nahm ihm noch im Sterben den Rest seiner Würde.
»Wieso … hat er nicht geblutet?«, fragte Pedro stockend. »Da ist kein Blut. Nirgendwo. Das … das ist Hexerei!«
»So etwas kommt vor«, antwortete Abu Dun, wobei er Andrej nicht aus den Augen ließ.
»Unmöglich!«, behauptete Pedro. Seine Stimme klang jetzt wieder fest, aber Andrej spürte auch, dass seine vermeintliche Ruhe nichts als Fassade war. Er hatte Situationen wie diese zu oft erlebt, um nicht zu wissen, dass der Mann kurz davorstand zusammenzubrechen. »So etwas kommt vor«, beharrte Abu Dun. »Manchmal tritt der Tod so schnell ein, dass der Körper nicht einmal mehr Zeit findet zu bluten. So etwas nennt man Schock. Es passiert selten, aber es passiert.« Sein Blick suchte den des Hafenmeisters und hielt ihn fest, während er wie zufällig den Mantel zurückschlug, sodass der Griff des monströsen Krummsäbels zum Vorschein kam. »Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede.«
»Und wenn es dir ein Trost ist«, fügte er nach einer winzigen Pause freundlicher hinzu, »er hat ganz bestimmt nichts gespürt. Wahrscheinlich hat er nicht einmal gemerkt, dass er angegriffen wurde.«
Pedro schwieg. Seine Furcht schien ein wenig nachzulassen.
Wenigstens sah er nicht mehr allzu genau hin, dachte Andrej. Ein einziger Blick in die gebrochenen Augen des Toten hätte selbst Pedro klargemacht, dass Abu Dun Unsinn redete. Niemand, der solche Verletzungen erlitt wie dieser bedauernswerte Junge, starb einfach so, ohne zu bluten, und Ari hatte gelitten, lange und unsagbar. »Er muss schon längere Zeit tot sein«, sagte Abu Dun nachdenklich. »Wahrscheinlich ist es heute Nacht passiert.«
»Die Tür«, sagte Pedro leise.
Andrej blickte fragend auf, obwohl er ganz genau wusste, was der Hafenmeister meinte. »Was soll damit sein?«
»Sie war abgeschlossen«, erinnerte ihn Pedro. »Von innen.« Er sah von Andrej zu Abu Dun und dann wieder zu Andrej, während er auf eine Antwort wartete. Schließlich sagte er: »Und das ist unmöglich.«
Statt zu antworten, stand Abu Dun auf, ging zur Tür und untersuchte ebenso pedantisch wie überflüssig das simple Schloss, das er vor wenigen Augenblicken eigenhändig aufgebrochen hatte. Nachdenklich sah er sich in der winzigen Kajüte um, trat an das schmale, mit buntem Bleiglas versehene Fenster und öffnete es. Andrej registrierte ohne Überraschung, dass es nicht verriegelt, sondern nur zugezogen gewesen war.
»Hier ist er raus«, sagte er.
»Durch das Fenster?«, ächzte Pedro. »Es sind fünfzig Fuß bis zum Wasser!«
»Kein Problem für einen Mann, der halbwegs in Form ist«, erwiderte Abu Dun lakonisch, drückte das Fenster wieder zu und warf Andrej wieder einen schrägen Blick zu, wie dieser ungehalten bemerkte. Dann ging er zur Tür.
»Wartet hier. Ich bin gleich zurück. Und seid leise.« Andrej fragte nicht, ob Abu Dun vielleicht noch ein paar weitere überflüssige Ratschläge parat hatte, wartete, bis der Nubier die Kajüte verlassen hatte, und ging dann zum Bett, um eine Decke zu holen, die er über Brust und Gesicht des Toten breitete. Pedro sah ihn dankbar an. »Das ist entsetzlich. Wer tut so etwas? Und warum?« Da Andrej keine Antwort auf diese Frage hatte, durchsuchte er rasch, aber sehr gründlich die Kabine. Das Ergebnis war mager. Aris Seemannskiste enthielt nur ein paar ebenso zerschlissene wie einfache Kleider und einige wenige persönliche Dinge, die Andrej kurz in Augenschein nahm und dann respektvoll zurücklegte. Darüber hinaus gab es ein schmales Regal und ein kaum breiteres Schreibpult mit einem fest darauf verschraubten Tintenfässchen und mehreren Schubladen voller Papiere und Schriftstücke. Andrej blätterte sie flüchtig durch und kam zu dem Schluss, dass es sich nur um Aufstellungen und Frachtlisten handelte, legte alles ordentlich zurück und schob auch die Schubladen wieder zu, bevor er sich wieder Pedro zuwandte.
»Wonach hast du gesucht?«, wollte der Hafenmeister wissen. Sein Blick irrte immer wieder zu dem abgedeckten Leichnam hin.
Andrej hob die Schultern. »Nach nichts. Vielleicht einem Hinweis, warum er sterben musste. Oder wer er wirklich war … Du sagst, er war mit Don de Castello verwandt?« »Das erzählt man sich«, antwortete Pedro ausweichend. »Aber es muss nicht wahr sein. Und selbst wenn … dieses adelige Pack besteht doch nur aus Inzucht, oder?

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