Goettersterben
erstarrt und ohne auch nur zu atmen stehen und schwang dann schwerfällig herum, um Andrej aus ungläubig aufgerissenen Augen anzustarren. Dann machte er einen einzelnen, schweren Schritt und fiel auf die Knie. Blut lief in einem breiten, im Nachtlicht schwarz glitzernden Strom an seiner Seite hinab und sammelte sich zu einer dampfenden Pfütze um seine Knie.
Andrej ergriff Gunjir mit beiden Händen, holte zu einem Enthauptungsschlag aus und ließ die Klinge dann wieder sinken, als er die Mischung aus Unglauben, allmählich aufkeimendem Begreifen und purem Entsetzen in den Augen des Vampyrs sah.
Etwas begann tief in seiner Seele zu wispern; es war der Vampyr, der in den tiefsten Abgründen seines Ichs gefangen war und jetzt mit der Stimme des Versuchers flüsterte, unterstützt von Gunjir, das Blut gekostet hatte und nach mehr verlangte.
Es würde seinen Trunk bekommen. Bald. Aber noch nicht gleich.
Andrej ließ die Klinge noch weiter sinken, bis ihre Spitze kaum hörbar über den Boden scharrte. Das Geräusch ließ den Vampyr aufsehen. Sein Blick tastete über Andrejs Gesicht, wanderte an seinem Arm und der Schwertklinge hinab und verharrte für einen Moment an dem Blut darauf – seinem Blut –, bevor er an sich selbst hinabstarrte und seine Hand ansah, die er gegen die Seite presste, um das Blut zurückzuhalten, das in Strömen aus seinem Leib rann. Natürlich gelang es ihm nicht. Andrej hatte sich schon oft gefragt, ob die Angst vor dem Tod hundertmal größer wurde, wenn man hundert Leben gelebt hatte. Er hatte nie eine Antwort auf diese Frage gefunden, doch als er in die Augen des Vampyrs blickte, wusste er, dass sie Ja lautete.
Er ließ ihm hinlänglich Zeit, um zu begreifen, was mit ihm geschah, dann beugte er sich über ihn und nahm ihm das Leben.
Und diesmal endgültig.
Es war anders als die Male zuvor; sogar anders als gerade, als er die Seele des Vampyrs genommen hatte. Er war jung gewesen, noch nicht wirklich ein Unsterblicher, sondern nur ein verwirrter Mann, der noch nicht einmal angefangen hatte, die Kräfte zu begreifen, die ihm zur Verfügung standen, und auch noch nicht verdorben von eben jenen Kräften.
Dieser hier war anders. Alt – uralt, älter als Andrej und Abu Dun zusammen – und unendlich mächtig. Er war stark, mindestens so stark wie er selbst, wenn nicht stärker, und wäre die Situation anders gewesen, so hätte sich Andrej vielleicht gefragt, wieso er vor ihm geflohen war, statt sich dem Kampf zu stellen und ihn möglicherweise zu besiegen. Und er war unendlich böse Nie zuvor hatte Andrej so viel Hass und Gewalt verspürt. Niemals, nicht bei einem einzigen der zahllosen Vampyre, die er getötet hatte, hatte er solche Wut gefühlt, und nie zuvor hatte er zusammen mit dem Leben seines Opfers so viel Gift in sich aufgesogen, eine so reine, verheerende Bosheit, die nun begann, die Macht über ihn an sich zu reißen.
Und es war süß
Andrej genoss nicht nur die pulsierende Lebenskraft, die wie ein erquickender warmer Strom in ihn floss, sondern auch – und vor allem – die reine Bosheit dieser schwarzen Energie. Vielleicht war es das erste Mal, dass er wirklich begriff, welche Macht in dieser dunklen Kraft lag, und warum so viele seiner Art ihrer Verlockung erlagen … und es vielleicht sogar richtig war.
Er stemmte sich hoch und sah lange auf den reglosen Körper hinab. Jetzt wäre er froh darum gewesen, nichts zu empfinden. Doch er empfand etwas. Unendlich viel mehr, als er wollte. Ein fast berauschendes Hochgefühl durchströmte ihn. Ohne jegliche Schuld oder Reue. Er schob das Götterschwert in die schmucklose Lederscheide unter dem Mantel zurück. Hinter ihm erscholl ein leises Lachen, untermalt von spöttischem Applaus.
Andrej fuhr herum und riss das Schwert aus dem Gürtel, und der Schatten, der unter der plötzlich geöffneten Tür erschienen war, hob rasch die Hand und schüttelte den Kopf. »Das wird nicht nötig sein, Andrej Delãny.«
Nötig oder nicht, Andrej riss Gunjir vollends heraus, trat einen halben Schritt zurück und ging mit gespreizten Beinen und leicht nach vorne gebeugt in eine perfekte Abwehrhaltung, wofür er mit einem weiteren gutmütigspöttischen Lachen belohnt wurde.
»Ja, ich sehe, ich habe mich nicht in dir getäuscht, Unsterblicher.«
»Wer bist du?«, fragte Andrej. Er versuchte, die Dunkelheit unter dem Türsturz mit Blicken zu durchdringen, aber es war seltsam: Seine sonst so scharfen Augen schienen ihm den Gehorsam zu verweigern. Er sah nur einen
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